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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 23.1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.6366#0022
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4932

Illustrierte Äofnachricht.

Den herrschenden Gebräuchen gemäß legte seine Durchlaucht der Großherzog von Gerolstein, als
ihn jüngst der König von Omciahiland besuchte, die Uniform von hochdessen königlichen Leibregiment an,
wogegen die schwarze Majestät sich mit der Uniform des ihr verliehenen großherzoglichen Kllrassier-
regiments bekleidete. Der Eindruck, den die herzliche Begrüßungsszene zwischen den beiden erhabenen
Monarchen machte, wird bei allen Teilnehmern von nachhaltiger Wirkung sein.

Ikennst du das Land?

von Rain.

Ls gibt ein Land — wo mag's nur liegen? —
Da heißt's. „Tu' Geld m Seinen Sack!“
Da läßt man sich nicht unterkriegen
von dem oervammten Lumpenpack.

Da ist das Paradies der Reichen.

Da ist der Herr noch Herr im Haus.

TTCan bleibt hübsch unter seinesgleichen
Und lacht die armen Teufel aus.

Ls gibt ein Land — rümpft nur die Nase! —
Da herrscht ein Nkusterparlament,

Das nichts von der modernen Phrase
von Zreiheit und von Gleichheit kennt.

Da qualmen Schlote, surr'n Maschinen,
Die Spindel schnurrt, der Hammer klopft;
Doch denen all', die sie bedienen,

Hat man die Nkäuler zugestopft.

Ls gibt ein Land — man findet selten,

Die im Negieren so geschickti
Nkit Polizei und Staatsanwälten
Wird jedes freie Wort erstickt.

Und will die Bande protestieren.

So donnert man ein kräftig Nein;

Und geht der Pöbel mal spazieren.

So haut man mit dem Säbel drein.

Kennst du das Land und seine Weisen?

Ls liegt — ei ja, ich sag es nicht.

Du brauchst nach Nioskau nicht zu reisen;
Ls liegt dir vor der Nase dicht.

Sein hochverehrter Staatsminister
Nennt sich nicht Witte, sondern Nketzsch.

In Drüsen jammert der Philister:

„Nu werö Sie's wirklich brenzlig" — Lisch!

Eine —

Skizze von Paul Enderttng.

Die Sonne brannte.

Fliegen surrten und stießen sich die Köpfe
an den Fensterscheiben ein.

Frau Rat wühlte und wühlte in ihren
Papieren und warf ganze Ballen auf den
kleinen zerbrechlichen Schreibtisch, so daß dieser
ächzte und knackte.

Beinahe wäre bei einer solchen Bewegung
die bronzene Nachbildung der Christusstatue
von Thorwaldsen — mit den ausgebreiteten
Armen — heruntergestürzt. Aber nur bei-
nahe. Sie fing ihn noch rechtzeitig auf und
stellte ihn liebevoll zurecht. Ein Sonnenstrahl
glitt durch die Stores und vergoldete für einen
Moment die Unterschrift am Sockel: „Kommet
her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen
seid!“ . . .

Kommet her zu mir alle — da erlosch der
Strahl. Nur draußen hinter den Stores
brannte die Sonne und summten die Fliegen.

Frau Rat suchte ein Manuskript. Ein sauber
geschriebenes, zehn Seiten langes Manuskript.
Das floß über von Liebe und staatlich gestem-
peltem Wohlnwllen für die Nebenmenschen
und hatte in großer Rundschrift auf der ersten
Seite den Titel: „Findelhäuser. Eine Forde-
rung der Gerechtigkeit."

Am meisten ärgerte sie sich jetzt vielleicht,
daß sie niemandem die Schuld an der Un-
ordnung geben konnte. Nicht einmal den
Dienstboten. Denn an den Schreibtisch durfte
keiner heran.

Die Klingel schrillte draußen und durchfuhr
wie ein Messerschnitt die fühlbare, greifbare
Stille des Sommernachmittags. Ein paar
Schritte gingen, Worte wurden hörbar, eine
Türe schlug zu, dann wieder Schritte und
das Stubenmädchen trat ein.

„Gnäd'je, da is eine — “

„Eine Dame?"

„Nein", sagte das Mädchen verlege», „eine —"

Erst wollte sie abwinken, dann sagte sie
aber doch: „Ich bitte."

Eine schlanke, sommerlich, etwas grell ge-
kleidete Frauengestalt trat ein.

Des Weibes Züge waren leicht aufge-
fchwemmt wie vom Trinken, und eine'selt-
same Mischung von Elend, Verschlagenheit,
Groll und Verzagtheit war darin zu lesen.

Der Rätin kundiger Blick strich nur einen
Augenblick über den mit roten Bändern und
langen Federn geschmückten Hut und das
etwas ausgesranste Kleid; dann sagte sie sich:
Anna hat recht. Das ist ja eine —

„Sie wünschen?" fragte sie dann laut und
scharf, ganz „Gnäd'je", ganz Frau Rat.

„Ich komme — von wejen — weil doch die
Frau Rätin vom Verein is —"

Es entstand eine Pause.

„Wie heißen Sie denn?"

„Jette Treiber. Ich Hab' doch mal bei
Ihnen gedient —"

„Jette Treiber?? Ich besinne mich. Sie
waren vor etwa fünf Jahren bei mir, als
mein seliger Mann noch lebte und mein Sohn
noch bei mir war."

„Ja, als Ihr Sohn noch bei Ihnen war.
In der Jerusalemer Straße."

„Ja, ich weiß. Sie begingen dann einen
Fehltritt. Und als sich Folgen zeigten, waren
wir gezwungen, Sie zu entlassen, nicht wahr?"

Dte andere nickte nur.

„Sie scheinen übrigens auf der Bahn des
Lasters weitergeschritten zu sein, wenn mich
der Augenschein nicht täuscht, und haben das
jetzt wohl satt und wollen endlich zu ehrlicher
Arbeit zurück, nicht wahr?"
 
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