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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 25.1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.6608#0318
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— 5986

—3 Das Balkanfeuer. 5—

Das brennt und brodelt wieder einmal nett
In allen Töpfen dort am Balkanherde!
Nach allen Seiten spritzt und schäumt das Fett.
Die Diplomaten springen aus dem Bett
Und niesen. Und dann zittert unsre Erde.

Die Diplomaten fahren in die Socken
Und fahren in die ungeputzten Schuh:

Was läßt in diese Suppe sich nicht brocken!
So fahren sie mit heimlichem Frohlocken
Nach allen Richtungen der Rose zu.

Man konferiert. Die Lage ist gespannt.

Die Journalisten horchen an den Türen.
Depeschen regnet's scheffelweis im Land:

Ja, König Josef und „Zar" Ferdinand
Woll'n sich da unten fette Semmeln schmieren!

Oho! Wieso! Und die Entrüstung glüht.
Teils ist Protest, teils ist er nicht geboten.
Im Grunde hat ein jeder Appetit.

Indem man allen auf die Finger sieht.
Beschießt man gegenseitig sich mit Noten.

Daß aus den Noten nur Musik nicht werde?
Es steht schon wieder um ein Kälberhaar!
Leicht fliegt ein Fünkchen von dem Balkanherde
In das gefüllte Pulverfaß der Erde -
Und dann - prost Mahlzeit! - ist die Suppe gar!

Viel Köche rühren an dem heißen Schmaus.
Und immer wieder riecht es scharf und brenzlich.
Die guten Völker nur sind nicht zu Haus.
Wer fragt danach? Die sreffen einfach aus,
Was andre kochen. Das genügt ja gänzlich, s».

vUtzüratztnachrichtcn.

Berlin. Die Balkanwirren haben die Reichsregierung
keineswegs überrascht! Fürst Bülow konnte schon deshalb
nicht vom Stuhl fallen, weil er in der auswärtigen Politik
grundsätzlich zwischen zwei Stühlen zu sitzen pflegt.

— In der wilhelmstraße, wo die Weltgeschichte an-
klopfte, wußte man den momentanen Aufenthaltsort Wil-
helms II. nicht. Die Weltgeschichte hat gesagt, sie würde
später mal wieder vorsprechen.

— Lude Oktober wurde der preußische Landtag eröffnet.
Beim Linzug der sieben Sozialdemokraten spielte die Haus-
kapelle das Lied:

„Denkste denn, denkste denn, du Berliner Pflanze,
Denkste denn, ick liebe dir, wenn ick mit dir tanze?"
London. Der hier zu Besuch weilende Weltfriede ist
mit Hinterlassung bedeutender tzotelschulden nach dem
Balkan abgereist. Die freigewordenen Zimmer hat die
europäische Uloral bezogen.

Paris. Die französische Regierung befürwortet eifrig
einen Rongreß aller Großmächte, die von der türkischen
Beute noch nichts abbekommen haben.

Wien. Zur Feier des Iubiläumsjahrs veröffentlicht die
Universitär eine Denkschrift über die Rolle des Alkohol-
genuffes in der Politik.

Sofia, wie sich jetzt herausstellt, ist der nunmehrige
Aönig nicht nur frischgebacken, sondern auch gehörig „aus-
gekocht".

Ronftantinopel. Der „kranke Mann" hat Pech! Raum
gesund geworden, ist er unter die europäische Straßen-
bahn geraten, was allem Anschein nach den Verlust mehrerer
Glieder zur Folge haben wird.

Petersburg. Jswolski wird beschuldigt, geschlafen zu
habend Das ist ungerecht. Luropäische Staatsmänner kön-
nen überhaupt nicht schlafen, weil die deutsche Diplomatie
zU laut schnarcht.

Liebenberg.

einst blühte, beisst es, unter märk’scben Gicben
Der Sitten Ginfalt und der Sinn für Recht.

Die neue Zeit, sie huldigt andern Zeichen,
Und ehrlos rühmt sieb seiner Schmach der Knecht.

Uerscbwunden ist die bocbgepries’ne Reinheit,
Gin ekler Brodem weht durch märk’scbe Luft,
IDan windet Kränze niedrigster Gemeinheit,
Und Böllerschüsse tönen: Beil dem Schuft!

Die Grösse Deutschlands wird so stolz be-
sungen,

Dom Weltreich wähnt man sich nicht weit
entfernt —

fleh, vieles ist dem Deutschen wohl gelungen,
Doch das Grröten hat er lang verlernt. t«m b-c.

An Se. Durchlaucht den Fürsten
Eulenburg.

Hochjeborener Fürst! Allerjnädijster und
durchtauchtijster Herr und Meister! In tiefste
Ehrerbietung wage ick mir an de Stufen Ihres
Fürstensitzes, um de jehorsamsten Jlickwinsche
zu Ihre anjenehme Haftentlassung auszu-
sprechen. Wenn ick mir ooch sehr jeschmeichelt
hätte, Ihnen diesen Winter in Plötzensee
perseenlich kennen zu lernen, so erfüllt doch
det mächtije Schwein, det Eure Durchlaucht
soeben bewiesen haben, nich nur mir, sondern
alle unsere jemeinschaftlichen Berufsjenossen
mit Stolz un Bewunderung. Nachdem wir
uns durch Voigt'n sein Verdienst in mille-
tärische Kreise dem neetijen Respekt erworben
hatten, haben die staunenswerten Leistungen
Eurer Durchlaucht unserm Stand mit den
Nimbus der Feudalität umkränzt. Man wird
in Zukunft det deitsche Heer un dem preiße-
schen Adel nich mehr erwähnen können, ohne
ooch an uns zu denken. Die Dankbarkeit un
Hochachtung, die Eurer Durchlaucht daher in
allen Kollejenkreisen entjejenjebracht wird, hat
keene Jrenzen nich. Un ooch mir iebermannt
de Bejeistrung, wenn ick an all det denke,
wat Sie, hochjeborener Fürst un Herr, in de
letzten sechs Monate jeschoben haben! Ick
kann nich anderst — ick muß Dir Du nennen!
Wir kannten Dir ja alle schon längst, un der
Name „Pupenphili mit de Schwurdaumen"
jenoß in alle besseren Kaschemmen die heechste
Achtung, schon bevor Dir de Amtsschauter in
de Finger bekamen. Ick bin ja allerdings
man bloß 'n eenfacher Mann, habe von de
Pike uff anjefangen un mir jahrelang als
Torfdrücker, Nepper, Klitscher, Kistenschieber,
Schautenpicker un Flatterfahrer durchjeholfeu,
während Du Dir jleich bei’s erste Mal als
janz schwerer Junge produziert hast. Aber
ick weeß, det Du keenen falschen Stolz nich
kennst, un dadrum wirste woll Deinen Freind
un Bruder ooch 'ne kleene Bitte nich ab-
schlagen. Ick habe nämlich 'ne Frage an Dir,
die mir, wie alle unsere Kollejen, schon lange
uff de Näjelu brennt. Sage bloß, Menschens-
kind, wie in aller Welt haste det anjestellt,
det se Dir so jlatt 'rausjelassen haben? Ick

bin ja ooch nich von vorjestern, aber det im-
poniert mir denn doch! Fimfmal habe ick
schon den wilden Mann jespielt, siebenmal
versuchte ick et mit den Blinddarm un een-
mal sojar mit de indianische Beulenpest —
aber et hat mir allens nie nischt jeholfen, ick
bin immer kaule jejangen. Un Du nu jleich
bei Dein erstes Schlamassel, wo Du doch noch
jar keene Routine nich haben konntest, eenfach
mit Dein dickes Maukbeen! Tu mir den
eenzigen Jefallen un jib mir det Rezept, denn
et is de Pflicht jedes anständigen Kollejen,
seine Erfahrungen ooch de Berufsjenossen zu-
kommen zu lassen. Un denn zum Schluß noch
eens! Wenn du nächstens wat feines aus-
baldowert hast, denn laß et mir doch sagen.
Ich möchte zu jern mal mit Dir zusammen
’n Ding drehen. Det scheint in jeden Fall
'n jutes Jeschäft zu sind. Du bist bei mir janz
sicher: ick verpfeife nischt un teile allens redlich.

Meine Adresse is: Pockenemil 777, post-
lagernd Rixdorf, oder, wenn Du mir perseen-
lich wahrnehmen willst: Wuhlheide, dritte
Sandjrube links, wo de jraue Weste an ’n Ast
hängt. ■ . ■

Liebe Nachbarschaft.

Kennt ihr das Land, östlich von unfern

Reichen,

Das Land, in dem die Knute nur regiert,
Das schöne Land der Galgen und der Leichen.
Zn dem ein milder Aar das Aepier führt?

Das Land, das Tolstoi mit dem Bann be-
legte,

Das finstre Land des heiligen Synod,

Das jeden freien Geist, wo er sich regle,
„verschickte" nach Sibirien in den Tod?

Der Rubel rollt dort, goldne Feste glänzen,
jfm Volke aber gärt nur Furcht und Haß:
Ls ist das Land der abgeschloßnen Grenzen:
Man kommt hinein, hinaus nicht ohne Paß.

Und doch ist fie ganz ohne Paß gekommen!
Trotz Söldnern und trotz Häschern ist ste da.
Die Grenze war gesperrt! — Doch aus-
genommen

von jedem paßzwang ist — die Tholera!

Alfred Echolh.
 
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