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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 31.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.8258#0363
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8535

Zane Seelen.

„Wollen Sie sich nicht mal die Opfer Ihres Krieges ansehen,
meine Herren?"
„Wir sind zu zart besaitet, wir können kein Blut sehen."


SL kobelMne. rs


Viel tausend Mütter weinen
Auf weitem Erdenrund,
Sie haben ihr Liebstes verloren,
Verstummt ist ihr klagender Mund.
In Frankreich und in Rußland,
Da sind der Gräber gar viel,
Drin liegen Väter und Söhne,
Gefallen im Schlachtengewiihl.
Drin liegen Deutsche, Franzosen
Und Russen im Erdenschoß,
Die Sterne am Himmel trauern
Wohl über der Menschheit Los.

Mein Freund Putzig meinte, daß es sehr leicht sei, den Frieden zu
schließen; man brauche nur den Dreibund und die Tripleentente in
einen Sechsbund umzuwandeln.
Das Volk der Denker heißen wir längst,
Nun ist es zweifelsohne:
Wir bauten das größte Zerstörungswerk,
Wir bauten die größte Kanone.

Gedanken und Hobelspäne haben etwas Gemeinsames — sie werden
häufig als feuergefährlich in Sicherheit gebracht.
Es machen die Herren Wuch'rer
Noch immer ihren Schnitt,
Gleich Null ist der Gemeinsinn,
Doch groß ist der Profit.
Manche Leute verwechseln eine Staatsleitung mit einer Wasser-
leitung, indem sie den Druck von oben für unbedingt nötig halten.
Ihr getreuer Säge, Schreiner und Landstürmer.

Sehnsucht.
Im Sperrdruck bringen's täglich die Blätter:
„Vie Sache steht gut! Der britische Vetter,
Der Busse, der Franzmann, sie Kriegen Beile,
Im übrigen — hat'; keine Eile!"
Ich höre gern die erfreuliche Bunde,
Und doch - im kserzen brennt eine lvunde,
Uuf den Lippen stirbt mir der Liegesschrei
Und ich flüstere leise: „kvär's erst vorbei!"
_-_ L. u.
Die „Barbaren".
Der Dichter Verhaeren behauptet in einem
langen Gedicht, die Deutschen hätten in Belgien
Kinder geschändet und gespießt.
Das ist noch gar nichts. Mit solchen Kleinig-
keiten geben sich Hunnen und Barbaren gar
nicht erst ab. Die Deutschen haben nämlich die
teuflische Idee, im analphabetischen Belgien
die allgemeine Schulpflicht einzuführen und
die armen, unschuldigen Kleinen dazu zu
zwingen, die langatmigen Gedichte Verhaerens
auswendig zu lernen! Gegen solche Scheusälig-
keiten kann man allerdings nicht genug Zuaven,
Senegalesen, Gurkhas, Kosaken und andere
Kulturträger ins Feld führen.
Lieber Wahrer Jacob!
Bei der Mobilmachung in Galizien verkroch
sich ein sechzigjähriger Jude im tiefsten Keller
seines Hauses. Man sagte ihm: „Nu, Neb
Maische, was verkriecht ihr euch? Man holt
doch nur die jüngen Lait!"
„Wie haaßt? Man braucht doch nach Ge-
neräle!" B.

Lieber Jacob!
De Russen sind noch immer nich in Berlin
un ooch de Franzosen un Engländer bejniejen
sich bis jetz damit, de deitsche Reichshaupt-
stadt von Döberitz aus in't Ooge zu fassen.
Deswejen sind wir vorleifig noch nich in de
Lage, det wir vom Krieg direkt wat zu riechen
kriejen, un dieses scheint manche Leite nich
recht zu sind un se bemiehen sich nach Kräften,
ooch uns Berlinern unfern verdienten Teil an
die jroße Zeit zukommen zu lassen, indem se
uns de abendliche Petroljumbeleichtung un-
meejlich machen un de Lebensmittel bis ins
Aschjraue verteiern. De Berliner Stadtverwal-
tung ändert an diesen Zustand nischt —wahr-
scheinlich aus den obijen Jrund un hat sich
bis heite noch nich entschließen können, de
Höchstpreise for Pelroljum un for Kartoffeln
einzufiehren, wat doch andere wenijer beriehmte
un intellijente Städte schon längst besorgt
haben.
Aber nich bloß in Bezug uff de Präpelei,
sondern ooch mit unsere Wohnungsjelejen'
heiten sollen wir, wie et scheint, in meejlichst
naturjetreien Kriegszustand versetzt werden.
Wenigstens hat det Berliner un det Schlorren-
dorfer Wohnungsamt seine Tätigkeit „mit Rick-
sicht uff die durch den Krieg jeschaffenen Ver-
hältnisse" einjestellt un de Kleinwohnungen
werden jetz nich mehr amtlich jeprieft un be-
uffsichtigt - wat for de Hausajrarjer bestimmt
sehr anjenehm un for de Bewohner wenigstens
lehrreich is, indem se in ihre stockijen Wanzen-
buden allmählich 'ne janz klare un lebhafte
Vorstellung von den Aufenthalt in 'n Schitzen-
jraben zur Winterszeit kriejen werden, ohne

det se die kostspielije un jefährliche Reise nach
'n Kriegsschauplatz zu unternehmen brauchen.
Aber ooch sonst is unsere Stadtverwaltung
unermiedlich tätlich, um den Zeitjeist Rechnung
zu tragen un de Berliner in eene aktuelle Stim-
mung zu versetzen. De Königjrätzer Straße is
for emfindliche Seelen schon immer 'ne War-
nung jewesen, det man dem Feind nich unnitzlich
ärjern un kränken soll, weil eener nie wissen
kann, ob er nich villeicht ieber Jahr un Tag
kann unser Fremd un Bruder Heeßen. Jetz hat
det ooch der Berliner Majistrat bejriffen un
hat de ansteeßige Straße den Namen Buda-
pester Straße jejeben. Un wie ick aus sichere
Quelle erfahre, soll ooch der Platz in't bairische
Viertel, wo die ville nächtliche Bumse un Tanz-
Babs sind, jetzt umjetooft un zur Erinnerung
an Hindenburg seine Sieje„MasurischerSumpf-
platz" jenannt werden. Wahrscheinlich steht et
mit dieset Projekt in Zusammenhang, det nu
ooch de Berliner Besitzer von Schwooflokale
sich endlich entschlossen haben, patriotisch zu
werden. Denn wie ick in de Zeitung las, haben
se an 't Oberkommando 'ne Jnjabe jemacht,
ivo se drum bitten, det Sonntags wieder je-
scherbelt werden derf, un sich strengstens ver-
suchten, man bloß noch vaterländesche Melo-
dien spielen zu lassen. Wat meine Zweetjingste
is, die probiert nu jeden Abend nach „Heil
dir in Siejerkranz" zu walzen un zu rhein-
ländern — aber se hat et bis jetz leider noch
nich rausjekriegt, obwohl det Mächen sehr
talentvoll is.
Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthilf Nauke,
an 'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.
 
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