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Ein Vermächtnis.
Hell klingt der Frost, die Sterne funkeln
In eisiger Silvesternacht —
In ihren Schützengräben halten
Die deutschen Männer treue Wacht;
Dort stehen Schulter sie an Schulter,
Ein fester Schutz für Volk und Reich,
And einer leiht die Hand dem andern
And einer ist dem andern gleich.
Was sonst das deutsche Volk zerklüftet.
Das Anrecht, das als Recht sich gab.
Des Geldes Macht, der Glanz des Namens —
Wie mürber Plunder fiel es ab;
Hier, wo des Volks vereinte Kräfte
Dem einen hohen Ziel sich weih'n.
Hier gelten nicht ererbte Rechte,
Hier gilt des Mannes Wert allein!
Hier, wo des Schicksals droh'nde Wolke
Gleichmäßig über allen schwebt.
Da ist zur Wirklichkeit geworden.
Was wir im Frieden heiß erstrebt:
Da gibt es weder hoch noch niedrig.
Da gibt es nicht mehr arm und reich —
Zu Helden wurden alle Krieger,
And einer ist dem andern gleich! —
Das Frührot dämmert ans den Hügeln,
Die Neujahrssonne blickt ins Tal
And manches halberlosch'ne Auge
Grüßt heut ihr Licht zum letzten Mal —
Doch als ein heiliges Vermächtnis
Zu uns die bleiche Lippe spricht:
„Wofür wir kämpfen hier und sterben.
Du, deutsches Volk, vergiß es nicht!"
O nein! Wir wollen treulich pflegen
Die Frucht, die eurem Grab entsprießt!
Der letzte Wille sei vollzogen.
Den ihr uns sterbend hinterließt!
Der Wille, den mit eurem Blute
Ins Herz ihr unserm Volke schriebt:
Daß es hinfort nicht Herrn noch Knechte,
Daß es hinfort nur Deutsche gibt!
Feldpostbriefe.
X.
Lieber Paule! Entschuldige schon, das, ich
mir von Dir und die ganze übrige Kompagnie
so ganz ohne Abschied gedrückt habe. Aber ich
hatte bei meine unverhoffte Abreise keine Zeit
dazu und muß das Versäumnis jetzt von Berlin
aus nachholen, wo ich vor vier Tagen ange-
kommen und schon ziemlich wieder ausgeheilt
bin. Wie ich meine Wunde erhalten habe, wird
Dir ivahrscheinlich noch unbewußt sein, indem
ich und der betreffende Kaffernhäuptling, der
sie mir beigebracht hat, die einzigen Ohren-
zeugen von das Ereignis sind, denn sehen
konnten auch wir beide nichts. Also höre zu.
Es war am Silvesterabend schon ziemlich
spät und ich stand Wache, ivo ihr anderen schon
längst in Morphiums Arme von die heimat-
lichen Pfannkuchen träumtet. Auch in die fran-
zösische Schützengrust schlief alles bis auf einen
schwärzlichen Kaffer», der andauernd seinen
eingeborenen Kriegsgesang blökte. Die Kerls
haben Nämlich auch ihre Wacht am Rhein, sie
nennt sich aber, wie mir der Sergeant Leh-
mann neulich instruiert hat, die „Wacht am
Limpopo" und der Refrain heißt auf Deutsch:
„Lieb Vaterland, Hab dir nich so! Fest steht
die Wacht am Linipopo!" Das Lied hört sich
ganz scheußlich an, schien dem Schwärzling
aber ein melodischer Zeitvertreib zu sind. Mir
ärgerte das Konzert, wie gesagt, und ich über-
legte mir, wie ich dem Kanälen meinerseits
auch etwas auf das Trommelfell geben könnte.
Wie meine Uhr Punkt Zivölfe zeigte, da springe
ich plötzlich aus meine Deckung hoch und brülle,
wie wir Berliner das in die Silvesternacht so
schön können, mit mein imposantestes Orjan
„Prost Neujahr!" nach die feindliche Linie rüber.
Der Azteke erschrak sichtbar, aber im selben
Momang hatte er auch schon das Gewehr an
K/\
die Backe. Daß das Aas in die Dunkelheit
hat richtig zielen können, ist ausgeschlossen, es
war der reine Dusel und er braucht sich nichts
drauf einbilden. Jedenfalls kriegte ich einen
bemerkensiverten Stoß vor die linke Schulter
und fühlte mir genötigt, Platz zu nehmen. Dann
sickerte das Blut aus dem Ärmel und ich mußte
mir, nachdem ich abgelöst war, in ärztliche
Behandlung begeben.
Der Sanitätsgehilfe zeigte sich ganz begeistert
von das Ereignis und bejubelte in warme
Herzenstöne das Schwein, das ich gehabt hätte.
„Drei Zentimeter weiter rechts und die Sache
wäre schief gegangen!" Während er mir in
diese Weise glücklich pries, glaubte ich alle
Engel im Himmel pfeifen zu hören, denn er
reinigte mir die Wunde sehr gewissenhaft mit
eine verflucht beißende Flüssigkeit und fuhr
mit eine Zange drin herum, um die „Fremd-
körper" - - er meinte dem Dreck — rauszu-
pulen. Aber er hatte doch recht: es war ein
Segen für mich und ich will nicht undankbar
sind. Dieses inerkte ich, sowie ich in das Ber-
liner Lazarett eingeliefert war. Menschenskind,
du hast ja keine blasse Ahnung, wie einem zu
Mute ist, wenn man nach vier Monaten
Schützengräben plötzlich in eine Badewanne
zu sitzen kommt! Ich versichere dir auf Kom-
pagnie-Ehrenwort, das Paradies ist ein popli-
ger Kietz gegen diesen Aufenthalt! Ich durfte
gleich de» zweiten Tag ausgehen und nahm
vermittels meine Armbinde die Ovationen der
dankbaren Zivilbevölkerung entgegen. Zigarren
bekam ich zugestochen, daß ich bei meine Rück-
kehr in unserm Schützengraben drei Filialen
von Löser und Wolf aufmachen kann.
Gestern wurde» wir Leichtverwundete von
eine rote Kreuzschwester in den Wintergarten
geführt, Es war eine für rlns sehr ehrenvolle
Nachmittagsvorstellung und bei die zahlreichen
Anspielungen von wegen kriegerische Helden-
UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK Ä
MANNHEIM
/ /jjj
taten fühlten wir uns alle auf das schmeichel-
hafteste getroffen. Leider ging der Rückmarsch
nicht ganz instruktionsmäßig vonstatten. Die
Schwester hatte strengsten Befehl bekommen,
die Friedrichstraße soviel wie möglich zu ver-
meiden, aber das arme Mädchen war in Berlin
ziemlich unkenntlich und bog, wie wir aus dem
Theater kamen, statt links nach dem Bahn-
hof zu marschieren, rechts nach die Linden zu.
Wir Kenner hüteten uns, ihr auf ihren Holz-
weg aufmerksam zu machen, und so gondelte
die Kolonne denn auch glücklich die ganze
Friedrichstraße lang bis zum Belle-Alliance-
Platz. Für die provinziellen Fremdlinge unter
die Kameraden war das natürlich eine staunens-
werte Begebenheit, denn so was hatten sie noch
niemals nicht gesehen, und die Futterluken stan-
den ihnen egal offen. Aber es befanden sich
auch ein paar eingeborene Berliner mang, die
hier gut Bescheid wußten, und als die Schwester
am Bahnhof Hallesches Tor nachzählte, da
fehlten sechse von ihre Heldenschar. Sie hatten
sich nach und nach aus Versehen verkrümelt und
trafen erst ein paar Stunden später ins Lazarett
Heule bin ich zur Privatpflege bei Muttern
eingetroffen. Meine Alten, meine Braut, mein
Freund Maxe und eine gebratene Jans mit
Rotkohl erwarteten dem heimkehrende» Krieger
an die Schwelle des Elternhauses. Mehr sage
ich nicht, um in Dein Herz und Deinen Magen
kein Heimweh zu erregen.
In vierzehn Tagen werde ich wohl wieder
in die Front retour können. Sollte Dir in-
zwischen mein Kaffernhäuptling vielleicht unter
die Fingern geraten, so bestelle ihm sreundlichst,
daß ich ihm nichts nachtrage! Auf Wieder-
sehen mit mindestens zwanzig Pfund Mehr-
gewicht Dein Kamerad
August Säge ju»., Garde-Grenadier.
Ein Vermächtnis.
Hell klingt der Frost, die Sterne funkeln
In eisiger Silvesternacht —
In ihren Schützengräben halten
Die deutschen Männer treue Wacht;
Dort stehen Schulter sie an Schulter,
Ein fester Schutz für Volk und Reich,
And einer leiht die Hand dem andern
And einer ist dem andern gleich.
Was sonst das deutsche Volk zerklüftet.
Das Anrecht, das als Recht sich gab.
Des Geldes Macht, der Glanz des Namens —
Wie mürber Plunder fiel es ab;
Hier, wo des Volks vereinte Kräfte
Dem einen hohen Ziel sich weih'n.
Hier gelten nicht ererbte Rechte,
Hier gilt des Mannes Wert allein!
Hier, wo des Schicksals droh'nde Wolke
Gleichmäßig über allen schwebt.
Da ist zur Wirklichkeit geworden.
Was wir im Frieden heiß erstrebt:
Da gibt es weder hoch noch niedrig.
Da gibt es nicht mehr arm und reich —
Zu Helden wurden alle Krieger,
And einer ist dem andern gleich! —
Das Frührot dämmert ans den Hügeln,
Die Neujahrssonne blickt ins Tal
And manches halberlosch'ne Auge
Grüßt heut ihr Licht zum letzten Mal —
Doch als ein heiliges Vermächtnis
Zu uns die bleiche Lippe spricht:
„Wofür wir kämpfen hier und sterben.
Du, deutsches Volk, vergiß es nicht!"
O nein! Wir wollen treulich pflegen
Die Frucht, die eurem Grab entsprießt!
Der letzte Wille sei vollzogen.
Den ihr uns sterbend hinterließt!
Der Wille, den mit eurem Blute
Ins Herz ihr unserm Volke schriebt:
Daß es hinfort nicht Herrn noch Knechte,
Daß es hinfort nur Deutsche gibt!
Feldpostbriefe.
X.
Lieber Paule! Entschuldige schon, das, ich
mir von Dir und die ganze übrige Kompagnie
so ganz ohne Abschied gedrückt habe. Aber ich
hatte bei meine unverhoffte Abreise keine Zeit
dazu und muß das Versäumnis jetzt von Berlin
aus nachholen, wo ich vor vier Tagen ange-
kommen und schon ziemlich wieder ausgeheilt
bin. Wie ich meine Wunde erhalten habe, wird
Dir ivahrscheinlich noch unbewußt sein, indem
ich und der betreffende Kaffernhäuptling, der
sie mir beigebracht hat, die einzigen Ohren-
zeugen von das Ereignis sind, denn sehen
konnten auch wir beide nichts. Also höre zu.
Es war am Silvesterabend schon ziemlich
spät und ich stand Wache, ivo ihr anderen schon
längst in Morphiums Arme von die heimat-
lichen Pfannkuchen träumtet. Auch in die fran-
zösische Schützengrust schlief alles bis auf einen
schwärzlichen Kaffer», der andauernd seinen
eingeborenen Kriegsgesang blökte. Die Kerls
haben Nämlich auch ihre Wacht am Rhein, sie
nennt sich aber, wie mir der Sergeant Leh-
mann neulich instruiert hat, die „Wacht am
Limpopo" und der Refrain heißt auf Deutsch:
„Lieb Vaterland, Hab dir nich so! Fest steht
die Wacht am Linipopo!" Das Lied hört sich
ganz scheußlich an, schien dem Schwärzling
aber ein melodischer Zeitvertreib zu sind. Mir
ärgerte das Konzert, wie gesagt, und ich über-
legte mir, wie ich dem Kanälen meinerseits
auch etwas auf das Trommelfell geben könnte.
Wie meine Uhr Punkt Zivölfe zeigte, da springe
ich plötzlich aus meine Deckung hoch und brülle,
wie wir Berliner das in die Silvesternacht so
schön können, mit mein imposantestes Orjan
„Prost Neujahr!" nach die feindliche Linie rüber.
Der Azteke erschrak sichtbar, aber im selben
Momang hatte er auch schon das Gewehr an
K/\
die Backe. Daß das Aas in die Dunkelheit
hat richtig zielen können, ist ausgeschlossen, es
war der reine Dusel und er braucht sich nichts
drauf einbilden. Jedenfalls kriegte ich einen
bemerkensiverten Stoß vor die linke Schulter
und fühlte mir genötigt, Platz zu nehmen. Dann
sickerte das Blut aus dem Ärmel und ich mußte
mir, nachdem ich abgelöst war, in ärztliche
Behandlung begeben.
Der Sanitätsgehilfe zeigte sich ganz begeistert
von das Ereignis und bejubelte in warme
Herzenstöne das Schwein, das ich gehabt hätte.
„Drei Zentimeter weiter rechts und die Sache
wäre schief gegangen!" Während er mir in
diese Weise glücklich pries, glaubte ich alle
Engel im Himmel pfeifen zu hören, denn er
reinigte mir die Wunde sehr gewissenhaft mit
eine verflucht beißende Flüssigkeit und fuhr
mit eine Zange drin herum, um die „Fremd-
körper" - - er meinte dem Dreck — rauszu-
pulen. Aber er hatte doch recht: es war ein
Segen für mich und ich will nicht undankbar
sind. Dieses inerkte ich, sowie ich in das Ber-
liner Lazarett eingeliefert war. Menschenskind,
du hast ja keine blasse Ahnung, wie einem zu
Mute ist, wenn man nach vier Monaten
Schützengräben plötzlich in eine Badewanne
zu sitzen kommt! Ich versichere dir auf Kom-
pagnie-Ehrenwort, das Paradies ist ein popli-
ger Kietz gegen diesen Aufenthalt! Ich durfte
gleich de» zweiten Tag ausgehen und nahm
vermittels meine Armbinde die Ovationen der
dankbaren Zivilbevölkerung entgegen. Zigarren
bekam ich zugestochen, daß ich bei meine Rück-
kehr in unserm Schützengraben drei Filialen
von Löser und Wolf aufmachen kann.
Gestern wurde» wir Leichtverwundete von
eine rote Kreuzschwester in den Wintergarten
geführt, Es war eine für rlns sehr ehrenvolle
Nachmittagsvorstellung und bei die zahlreichen
Anspielungen von wegen kriegerische Helden-
UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK Ä
MANNHEIM
/ /jjj
taten fühlten wir uns alle auf das schmeichel-
hafteste getroffen. Leider ging der Rückmarsch
nicht ganz instruktionsmäßig vonstatten. Die
Schwester hatte strengsten Befehl bekommen,
die Friedrichstraße soviel wie möglich zu ver-
meiden, aber das arme Mädchen war in Berlin
ziemlich unkenntlich und bog, wie wir aus dem
Theater kamen, statt links nach dem Bahn-
hof zu marschieren, rechts nach die Linden zu.
Wir Kenner hüteten uns, ihr auf ihren Holz-
weg aufmerksam zu machen, und so gondelte
die Kolonne denn auch glücklich die ganze
Friedrichstraße lang bis zum Belle-Alliance-
Platz. Für die provinziellen Fremdlinge unter
die Kameraden war das natürlich eine staunens-
werte Begebenheit, denn so was hatten sie noch
niemals nicht gesehen, und die Futterluken stan-
den ihnen egal offen. Aber es befanden sich
auch ein paar eingeborene Berliner mang, die
hier gut Bescheid wußten, und als die Schwester
am Bahnhof Hallesches Tor nachzählte, da
fehlten sechse von ihre Heldenschar. Sie hatten
sich nach und nach aus Versehen verkrümelt und
trafen erst ein paar Stunden später ins Lazarett
Heule bin ich zur Privatpflege bei Muttern
eingetroffen. Meine Alten, meine Braut, mein
Freund Maxe und eine gebratene Jans mit
Rotkohl erwarteten dem heimkehrende» Krieger
an die Schwelle des Elternhauses. Mehr sage
ich nicht, um in Dein Herz und Deinen Magen
kein Heimweh zu erregen.
In vierzehn Tagen werde ich wohl wieder
in die Front retour können. Sollte Dir in-
zwischen mein Kaffernhäuptling vielleicht unter
die Fingern geraten, so bestelle ihm sreundlichst,
daß ich ihm nichts nachtrage! Auf Wieder-
sehen mit mindestens zwanzig Pfund Mehr-
gewicht Dein Kamerad
August Säge ju»., Garde-Grenadier.