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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 32.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.8259#0102
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8658

Iflai-ßedanken.

ünd wieder ist der Cag erschienen,

Der Cag, der 11ns seit manchem Jabr
Des Uölkerfriiblings frober Bote,

Der scbönstenZukunft Bürgschaft war.

Dti erster Mai, du 5e$t des Friedens,

(Deich Schauspiel bietest du uns beut?

Die sieb als Brüder fühlen sollten,

Zerfleischen sich in grimmem Streit!

leb seb des deutschen Dolkes Menge,
Die, hart gestählt durch Dot und Krieg,
Zum Eicht erwacht und neugeboren,
Gin Phönix aus der Grde stieg;

Die das Gebot der Pflichterfüllung
Allzeit gehegt in treuer Brust
Und die fortan auch ihres (Uertes
Und ihrer Rechte sich bewusst!

Ich seh den Cag, der uns in Gbren
Den heiss ersehnten Frieden bringt,
Der um die Uölkcr dieser Grde
Ginncue$Bandder?reund$cbaft$cblingt.
Ich seh das Reich, das stolz verjüngte,
Getragen von des Dolkes Kraft,

(Do brüderlich die Bände reichen
Sich Arbeit, Kunst und (Dissenschaft.

Und all die Saaten, die wir säten
Tn opferreicher Jahre Lauf,

Dom Morgenstrahl der jungen Freiheit
Durchleuchtet, gehn sie prangend auf!

Das ist der Crost in schweren Stunden,

Dies ist das boffnungsstarke Bild,

Das sich am ersten Maientage
Derbeissend meinem Blick enthüllt. inm-mu,.

Beut schweigt des bestes froher Jubel
Don blut’gen liebeln eingehüllt
Liegt vor uns, totenstarr und düster,
Der Gegenwart furchtbares Bild;

Doch in die Zukunft dringt das Auge:
Dem Blick enthüllt sich hoffnungsvoll
DerCag, der nach des (Ueltkriegs Greueln
Uns kommen wird und kommen soll.

Feldpostbriefe.

XVIII.

Geliebte Eltern! In Eurem letzten Briefe
richtet jeder von Euch eine Frage an mir, die
ich aber beide zu meinem Schmerze ablehnend
beantworten muß. Vater möchte gern wissen,
ob wir auch im Felde den ersten Mai feiern
oder wenigstens einen Ruhetag haben werden,
und Mutter erkundigt sich, ob ich die sechs-
undzwanzig Paar wollene Socken und die sieben
Ohrenschützer, die sie mir im Laufe des Winters
geschickt hat, auch alle sorgfältig aufbewahrt
habe, und sie bittet mir, ihr diese Bekleidungs-
stücke, die ich doch jetzt in die bevorstehende
warme Jahreszeit nicht mehr brauchen werde,
mit die nächste Feldpost retour zu senden.

Geliebte Eltern, ich glaube, Ihr macht Euch
keine ganz naturgetreue Vorstellung, wie es
im Kriege zugeht. Eine Maifeier läßt sich hier
nicht veranstalten, weil es in den Schützen-
gräben an die richtige politische Organisation
mangelt, und von wegen die Ruhetage kann
ich man bloß sagen, es ist besser, wenn sie nicht
vorher angelundigt werden. Unsere Kompagnie
ist in diese Hinsicht etwas abergläubisch, was
Euch nach unsere neuesten Erfahrungen nicht
wunderbar erscheinen wird. Erst vorige Woche
genossen wir nämlich wieder einmal so eine
„dienstliche Ruhepause", nachdem wir tagelang
egal in die erste Feuerlinie gelegen und uns
abgerackert hatten. Es war gerade Abend ge-
worden, als der angenehme Befehl kam: in
zwei Stunden wird ins Quartier zurückmar-
schiert, die Ablösung ist schon auf dem Wege.
Wir packten unsere Sachen und machten uns
marschbereit. Der Gefreite Schultze von dem
dritten Zug erzählte mit vollen Backen von
seine verflossenen Heldentaten, die er am letzten
Nachmittag noch in alle Eile im Grauatenregen
wollte begangen haben. In diesem Augenblick
schlug fünfzig Schritt von uns ein Mörser-
geschoß in die Erde und Schulze fiel vor Schreck
auf den Bauch. Das großschnauzige Luder hatte

sich noch nicht wieder aufgekrabbelt, als ein
zweiter, dritter und vierter Schuß folgte, die
Maschineugewehrabteilung unseres Regiments
in unsere Linie auffuhr und ein regelrechtes
Gefecht im Gange war. Wir griffen eiligst zu
unsere Kuhfüße und beteiligten uns an das
Kegelschieben. Nach einer Viertelstunde erschien
ein aufgeregter Radfahrer und fragte atemlos
nach unserem Major. „Was ist denn los?"
schrien mir. „EuerBntaillon soll zur Verstärkung
vor. Der Feind hat uns mit überlegenen Kräften
angegriffen, wenn nicht sofort Hilfe kommt,
können wir uns nicht halten!" Und weg war
er. In fünf Minuten befanden wir uns auf
dem Marsche durch die stockfinsterne Düsternis
und unsere „dienstliche Ruhepause" fing an.
Zuerst konnten wir noch aufrecht gehen, aber
dann pfiffen »ns die Kugeln so erfrischend um
die Ohren, daß wir in den Chausseegraben
mußten und nur auf den Knien vorwärts rut-
schen konnten. Ich fragte nnr in meine Seele,
zu was ich eigentlich auf dem Tempelhofer Felde
deu schönen Parademarsch geübt hatte, wenn
ich mir im Ernstfälle schließlich auf diese un-
wahrscheinliche Art fortbewegen muß! Aber
es kam noch angenehmer. Auf einmal ging es
eine schlüpfrige Anhöhe runter, und dann be-
fanden wir uns dicht vor einem Flusse, den
wir auf schmale Laufbretter passieren mußten.
Geliebte Eltern, ich hätte in Friedenszeiten
nicht geglaubt, daß es bei die Berliner Garde
ein ganzes Bataillon gelernte Seiltänzer gibt.
Aber es war so, nicht ein einziger von uns ist
ins Wasser gefallen. Wie wir drüben ankamen,
flammte plötzlich eine Leuchtkugel auf und da
sahen wir, in welche Gesellschaft wir uns be-
fanden: das ganzeGelände wimmeltevonFran-
zosen, mindestens eine Brigade hatte sich zu
unsere festliche Begrüßung versammelt. Wir
buddelten uns ein, so gut es sich machen ließ,
und dann legte ein Schnellfeuer von beiden
Seiten los, daß mau bald nicht mehr wußte,
ob man männlich oder weiblich ist. Gewehr-
geschosse, Granaten von alle Handschuhnum-

mern und „Liebesgaben mit Anhänger", wie
mir die Schrapnells zu nennen pflegen, knallten,
brummten, rasselten und hagelten um uns her-
um. Vom Feinde konnte man nichts weiter be-
merken als wie die schwarzen Umrisse, und ich
mußte immer an das Schattenspiel denken, das
ich als Junge einmal in Weißensee gesehen
hatte. Aber nicht lange, dann gingen wir zum
Sturm vor, und da waren die Schatten auf
einmal weg. Als es anfing hell zu werden,
sahen wir den Feind schon in hochachtungs-
volle Entfernung, und wir mußten in Eilmarsch
hinterher. Diese Beschäftigung dauerte bis zum
Abend, und damit war der erste Tag von die
anbefohlene „dienstliche Ruhepause" zu Ende.
Als wir dann aber wirklich ins Quartier zurück-
gezogen wurden, erinnerte sich unser Feldwebel
in liebevoller Weise an meine Ziviltalente als
gelernter Techniker, und ich hatte das Ver-
gnügen, fünf Tage lang Telephonkabel zu legen
und drei Apparate anzuschließen. Wie ich da-
mit fertig war, wurde mir ein Motorrad unter
das Gesäß geschmeichelt und ich war für deu
Rest der Woche Motorradfahrer.

• Liebe Mutter, Du wirst begreifen können,
daß ich bei solche vielseitige Beschäftigungen,
wie sie das Leben im Felde einem beschert,
keine passende Gelegenheit nicht gehabt habe,
auf Deine sieben Ohrenschützer und die sechs-
undzrvanzig Paar rvollene Socken genügend
Obacht zu geben, und daß ich mir augenblicklich
bloß im Besitz von ein Paar Strümpfe befinde,
rveshalb ich um eine neue Sendung freund-
lichst gebeten haben möchte. Du aber, lieber
Vater, wirst es meine Kompagnie nicht übel
nehmen, wenn sie sich am ersten Mai damit
begnügt, den Tag, den wir alle auch in diesem
Jahre nicht vergessen werden, bloß niit stillen
Gedanken und Wünschen zu feiern, aber vor
einem angesagle» Ruhetag möge uns das Schick-
sal bewahren. Da haben wir die Neese voll.

Mit herzliche Grüße bin ich Euer dankbarer
Sohn

August Säge jun., Garde-Grenadier.
 
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