. 8742
Ein Jahr Krieg!
Lin Jahr voll Blut und Wunden,
Lin Jahr voll Not und Leid,
voll dunkler Schmerzensstunden
Entschwand im Flug der Zeit.
Lin Jahr voll Gram und Grauen —
wer möchte rückwärts schauen
Ins Rasen der Unmenschlichkeit?
Fern am Rrgonnenwalde
Die roten Brände lohn;
Bus Polens blut'ger Halde
Baute der Lod den Throns
Es sanken vor ihm nieder
viel Lausend unsrer Brüder -
Und jeder einer Mutter Lohn.
wir haben's still getragen
In ernster SuDerfid)!;
In hell und dunklen Lagen
Erkannten wir die Pflicht,
Das Land vor Sturmgefahren
Zu hüten und zu wahren,
Das Land, das unsre Sprache spricht.
Leis klingt's von Mund zu Munde:
wann wird uns wohl beschert
Der Friede, der die Wunde
Schließt, der uns schützt den Herd
vor den Rosakenschwärmen,
vor trunkner Hetzer Lärmen -
Der Friede, der der Opfer wert?
wann schweigt dies dumpfe hassen?
wann wird zum Freund der Feind?
wann wird die Welt erfassen
Den Lraum der alle eint,
wenn über allen Thronen,
hoch über den Nationen
Der Menschheit Sonne wieder scheint.
P.L.
Der Toten Mahnung.
Aus Gräbern, fern im fremden Land,
Klingk dunkler Stimmen ernstes Mahnen:
Wir waren Streiter, Mann für Mann —
Geht weiter ihr auf unsren Bahnen!
Wir standen von der Werkstatt auf;
Das Werkzeug glitt aus unsren Länden —
Wir können in der Zukunft Lauf
Nicht das Begonnene vollenden.
Vergeht ihn nicht, den Kampf ums Licht!
Dann sind wir nicht umsonst gesunken.
And fremder Boden hat dann nicht
Amsonst der Streiter Blut getrunken!
Feldpostbriefe.
XXV.
Lieber Maxe! Ich muß Dir hiermit drin-
gend ersuchen, mir umgehend mitzuteilen,
wie es bei Euch in Berlin aussieht. Denn ich
habe nämlich die schauderhaftesten Nachrichten
über Eure bejammernswerte Lage bekommen
und graule mir von wegen das Schicksal un-
seres Vaterlandes und meiner Familie. Um
mir aber richtig zu verstehen, mußt Du zu-
nächst folgendes erfahren.
Die Armeegruppe, die ich anzugehören das
ehrenvolle Vergnügen habe, stand etwas hinter
die übrige Front zurück und wir bekamen da-
her vorige Woche den angenehmen Auftrag,
die Linie auszugleichen und uns ein paar Kilo-
meter nach vorwärts zu begeben. Also mar-
schierten wir in die finsterste Nachtzeit los
und stießen auch bald auf einige unsichtbare
Truppen, die uns sofort zuriefen: „Nicht
schießen! Deutsches Soldat!" Wir dachten, es
sind gute Kameraden von die wasserpolackische
Couleur, die unsere Muttersprache nicht so ge-
läufig beherrschen, wie wir gebildete Berliner,
und wollten uns gerade mit sie vereinigen,
als wir zu unser Glück noch rechtzeitig ent-
deckten, daß es Engländer waren, die uns
meuchlings bekriegslisten und aufreiben woll-
ten. Die Chose gelang sie gänzlich vorbei, sie
rissen sehr behende aus und wir nicht minder
hinterher. Eine halbe Stunde später hatten
wir ihren ersten Graben besetzt, den sie in ihre
impulsive Eilfertigkeit gar nicht zu verteidigen
wagten. Wir nahmen in das Logis Platz und
besichtigten die englischen Wohnungsgelegen-
heiten. Menschenskind, ich sage Dir bloß! Mit
einen: Wort: Pieknobel nebst allen sonstigen
Komfort der modernsten Neuzeit! Ich erwähne
bloß die gefüllten Konservenbüchsen, in die sich
allerhand wohlschmeckende Marmeladen be-
fanden, die diese Herrschaften einfach zum
Frühstück präpeln und sich dann mit Erfolg
nach mehr umsehen. Und daS Brot! Stelle
Dir mal Schrippen vor aus schneeweißes Mehl
und von Armslänge! Nach dieses Schauspiel
wunderten wir uns nicht mehr darüber, daß
die Engländer mit eine solche Lebensweise dem
Krieg noch zwanzig Jahre lang führen und
für kein Geld nicht Frieden mache» wollen.
Angesichts von diese Marnielade ist das viel-
mehr ganz erklärlich, und so werden wir ihnen
wohl zwangsweise von ihre Konservebüchsen
trennen und zu eine humanere Auffasiung be-
kehren müssen. Denn der Klügere soll stets mit
ein gutes Beispiel vorangehen. Zunächst hau-
ten wir uns also n:al feste hinein und erle-
digten in zehn Komma Null Minuten die gan-
zen Vorräte. Bei die armslangen Schrippen
gedachte ich in stille Wehmut an nieine fernen
Lieben, die so was bloß verniittelst Brotkarte
genießen können, und auch dann nur mangel-
haft, weil das Weizenmehl in unvermischte
Form ja nicht :»ehr statthaft ist. Meine Weh-
mut wurde aber in beängstigenden Schauder
verwandelt, als wir in die englische Unter-
stände mehrere Londoner Zeitungen fanden,
die ein Einjähriger von unsere Koinpagnie
enträtseln konnte. Und damit gelange ich zu
dem eigentlichen Schwerpunkt meines Briefes.
Nach die englischen Berichte soll also in
Berlin bereits ein vollständiger Mangel an
Männerwelt eingetretcn sein. Alles, was noch
kriechen kann und seine fünf Sinne zusanuuen
hat, ist ins Feld geschickt. Personen männlichen
Geschlechts findet man bloß noch ins Jnva-
lidenhaus, in die Säuglingsheime und ins
Auswärtige Amt vor, wo sie unabkömmlich
sind — sonst ist alles von dieses Geschlecht
entblößt. Besonders deutlich soll diese Ent-
blößung in die Friedrichstraßc auffallen, wo
man ausschließlich bloß noch Damen antrifft,
die aber alle auch schon längst aus das lnud-
sturmfähige Alter hinaus sind. Die Furcht vor
die siegreichen englischen Millionenheere ist in
Deutschland so groß, daß sogar schon die klein-
sten Kinder davon befallen werden, die von
die militärische Lage noch keine Ahnung haben,
aber trotzdem krumme Beine kriegen, was man
die englische Krankheit nennt. Obgleich Berlin
beinahe menschenleer ist, herrscht ein furcht-
barer Mangel an Nahrungsmitteln, und selbst
die paar Dutzend, die noch übrig sind, können
sich nicht satt machen. Das hauptsächlichste
Lebensmittel ist eine Art Bockwurst, die aus
Sägespänen und Knoblauch hergestellt wird.
Die Siegesallee ist bereits zu Mehl vermahlen
worden und bis auf den letzten Markgrafen auf-
gefressen. In die Kolonie Grunewald sind neu-
lich auf die Straße zwei verhungerte Armee-
lieferanten gefunden worden. Die überlebende
Berliner Bevölkerung hat an Gewicht so ab-
genommen, daß Jagow, um eine Panik vor-
zubeugen, sämtliche automatische Personen-
wagen in die Restaurants beschlagnahmt hat.
Zu Hause wiegen sich nun die Berliner auf
ihre Briefwagen, und die meisten gehen schon
für einfaches Porto. Metallgeld gibt es über-
haupt keins mehr, und das Gold ist sogar aus
die öffentlichen Kassen vollständig verschwun-
den. Nachdem alle Zehn- und Zwanzigmark-
stücke und alle goldenen Uhren eingezogen wor-
den waren, hat nian die Leute die Goldploinben
aus.die Stockzähne beschlagnahmt. Die be-
güterten Klassen haben sich daher ihre Trau-
ringe aus Zwanzigmarkscheinen drehen lassen,
aber jetzt ist auch dieses verboten worden, weil
das Papiergeld ebenfalls anfängt knapp zu
werden, indem alles in Deutschland noch vor-
handene Papier zu Sticfelsohlen für den Land-
sturm verwendet werden muß.
Das alles hat uns der Einjährige aus die
Londoner Zeitungen übersetzt. Diese Nach-
Ein Jahr Krieg!
Lin Jahr voll Blut und Wunden,
Lin Jahr voll Not und Leid,
voll dunkler Schmerzensstunden
Entschwand im Flug der Zeit.
Lin Jahr voll Gram und Grauen —
wer möchte rückwärts schauen
Ins Rasen der Unmenschlichkeit?
Fern am Rrgonnenwalde
Die roten Brände lohn;
Bus Polens blut'ger Halde
Baute der Lod den Throns
Es sanken vor ihm nieder
viel Lausend unsrer Brüder -
Und jeder einer Mutter Lohn.
wir haben's still getragen
In ernster SuDerfid)!;
In hell und dunklen Lagen
Erkannten wir die Pflicht,
Das Land vor Sturmgefahren
Zu hüten und zu wahren,
Das Land, das unsre Sprache spricht.
Leis klingt's von Mund zu Munde:
wann wird uns wohl beschert
Der Friede, der die Wunde
Schließt, der uns schützt den Herd
vor den Rosakenschwärmen,
vor trunkner Hetzer Lärmen -
Der Friede, der der Opfer wert?
wann schweigt dies dumpfe hassen?
wann wird zum Freund der Feind?
wann wird die Welt erfassen
Den Lraum der alle eint,
wenn über allen Thronen,
hoch über den Nationen
Der Menschheit Sonne wieder scheint.
P.L.
Der Toten Mahnung.
Aus Gräbern, fern im fremden Land,
Klingk dunkler Stimmen ernstes Mahnen:
Wir waren Streiter, Mann für Mann —
Geht weiter ihr auf unsren Bahnen!
Wir standen von der Werkstatt auf;
Das Werkzeug glitt aus unsren Länden —
Wir können in der Zukunft Lauf
Nicht das Begonnene vollenden.
Vergeht ihn nicht, den Kampf ums Licht!
Dann sind wir nicht umsonst gesunken.
And fremder Boden hat dann nicht
Amsonst der Streiter Blut getrunken!
Feldpostbriefe.
XXV.
Lieber Maxe! Ich muß Dir hiermit drin-
gend ersuchen, mir umgehend mitzuteilen,
wie es bei Euch in Berlin aussieht. Denn ich
habe nämlich die schauderhaftesten Nachrichten
über Eure bejammernswerte Lage bekommen
und graule mir von wegen das Schicksal un-
seres Vaterlandes und meiner Familie. Um
mir aber richtig zu verstehen, mußt Du zu-
nächst folgendes erfahren.
Die Armeegruppe, die ich anzugehören das
ehrenvolle Vergnügen habe, stand etwas hinter
die übrige Front zurück und wir bekamen da-
her vorige Woche den angenehmen Auftrag,
die Linie auszugleichen und uns ein paar Kilo-
meter nach vorwärts zu begeben. Also mar-
schierten wir in die finsterste Nachtzeit los
und stießen auch bald auf einige unsichtbare
Truppen, die uns sofort zuriefen: „Nicht
schießen! Deutsches Soldat!" Wir dachten, es
sind gute Kameraden von die wasserpolackische
Couleur, die unsere Muttersprache nicht so ge-
läufig beherrschen, wie wir gebildete Berliner,
und wollten uns gerade mit sie vereinigen,
als wir zu unser Glück noch rechtzeitig ent-
deckten, daß es Engländer waren, die uns
meuchlings bekriegslisten und aufreiben woll-
ten. Die Chose gelang sie gänzlich vorbei, sie
rissen sehr behende aus und wir nicht minder
hinterher. Eine halbe Stunde später hatten
wir ihren ersten Graben besetzt, den sie in ihre
impulsive Eilfertigkeit gar nicht zu verteidigen
wagten. Wir nahmen in das Logis Platz und
besichtigten die englischen Wohnungsgelegen-
heiten. Menschenskind, ich sage Dir bloß! Mit
einen: Wort: Pieknobel nebst allen sonstigen
Komfort der modernsten Neuzeit! Ich erwähne
bloß die gefüllten Konservenbüchsen, in die sich
allerhand wohlschmeckende Marmeladen be-
fanden, die diese Herrschaften einfach zum
Frühstück präpeln und sich dann mit Erfolg
nach mehr umsehen. Und daS Brot! Stelle
Dir mal Schrippen vor aus schneeweißes Mehl
und von Armslänge! Nach dieses Schauspiel
wunderten wir uns nicht mehr darüber, daß
die Engländer mit eine solche Lebensweise dem
Krieg noch zwanzig Jahre lang führen und
für kein Geld nicht Frieden mache» wollen.
Angesichts von diese Marnielade ist das viel-
mehr ganz erklärlich, und so werden wir ihnen
wohl zwangsweise von ihre Konservebüchsen
trennen und zu eine humanere Auffasiung be-
kehren müssen. Denn der Klügere soll stets mit
ein gutes Beispiel vorangehen. Zunächst hau-
ten wir uns also n:al feste hinein und erle-
digten in zehn Komma Null Minuten die gan-
zen Vorräte. Bei die armslangen Schrippen
gedachte ich in stille Wehmut an nieine fernen
Lieben, die so was bloß verniittelst Brotkarte
genießen können, und auch dann nur mangel-
haft, weil das Weizenmehl in unvermischte
Form ja nicht :»ehr statthaft ist. Meine Weh-
mut wurde aber in beängstigenden Schauder
verwandelt, als wir in die englische Unter-
stände mehrere Londoner Zeitungen fanden,
die ein Einjähriger von unsere Koinpagnie
enträtseln konnte. Und damit gelange ich zu
dem eigentlichen Schwerpunkt meines Briefes.
Nach die englischen Berichte soll also in
Berlin bereits ein vollständiger Mangel an
Männerwelt eingetretcn sein. Alles, was noch
kriechen kann und seine fünf Sinne zusanuuen
hat, ist ins Feld geschickt. Personen männlichen
Geschlechts findet man bloß noch ins Jnva-
lidenhaus, in die Säuglingsheime und ins
Auswärtige Amt vor, wo sie unabkömmlich
sind — sonst ist alles von dieses Geschlecht
entblößt. Besonders deutlich soll diese Ent-
blößung in die Friedrichstraßc auffallen, wo
man ausschließlich bloß noch Damen antrifft,
die aber alle auch schon längst aus das lnud-
sturmfähige Alter hinaus sind. Die Furcht vor
die siegreichen englischen Millionenheere ist in
Deutschland so groß, daß sogar schon die klein-
sten Kinder davon befallen werden, die von
die militärische Lage noch keine Ahnung haben,
aber trotzdem krumme Beine kriegen, was man
die englische Krankheit nennt. Obgleich Berlin
beinahe menschenleer ist, herrscht ein furcht-
barer Mangel an Nahrungsmitteln, und selbst
die paar Dutzend, die noch übrig sind, können
sich nicht satt machen. Das hauptsächlichste
Lebensmittel ist eine Art Bockwurst, die aus
Sägespänen und Knoblauch hergestellt wird.
Die Siegesallee ist bereits zu Mehl vermahlen
worden und bis auf den letzten Markgrafen auf-
gefressen. In die Kolonie Grunewald sind neu-
lich auf die Straße zwei verhungerte Armee-
lieferanten gefunden worden. Die überlebende
Berliner Bevölkerung hat an Gewicht so ab-
genommen, daß Jagow, um eine Panik vor-
zubeugen, sämtliche automatische Personen-
wagen in die Restaurants beschlagnahmt hat.
Zu Hause wiegen sich nun die Berliner auf
ihre Briefwagen, und die meisten gehen schon
für einfaches Porto. Metallgeld gibt es über-
haupt keins mehr, und das Gold ist sogar aus
die öffentlichen Kassen vollständig verschwun-
den. Nachdem alle Zehn- und Zwanzigmark-
stücke und alle goldenen Uhren eingezogen wor-
den waren, hat nian die Leute die Goldploinben
aus.die Stockzähne beschlagnahmt. Die be-
güterten Klassen haben sich daher ihre Trau-
ringe aus Zwanzigmarkscheinen drehen lassen,
aber jetzt ist auch dieses verboten worden, weil
das Papiergeld ebenfalls anfängt knapp zu
werden, indem alles in Deutschland noch vor-
handene Papier zu Sticfelsohlen für den Land-
sturm verwendet werden muß.
Das alles hat uns der Einjährige aus die
Londoner Zeitungen übersetzt. Diese Nach-