9416
Aus Frankreich.
3m Jenseits.
Manteuffel:
Der Preußenstaat wollte versinken
In kevolution und chual,
Da stab' ich ihn klüglich gerettet
Mit meiner Vreiklassenwahl.
Bismarck:
Du solltest so sehr dich nicht rühmen,
Venn wie ich immer gedacht,
Du hast mit deinem Gesetze
wahrhaftig nichts Gutes gemacht.
Manteuffel:
Za, hinterher ist wohl gut sagen,
Ls habe mein Werk nichts genützt,
Jedoch du hast dich recht gerne
Linst selber darauf gestützt.
Bismarck:
Daß ich es getan, das bekenn' ich,
Ls war zu unseliger Zeit,
Und seh' ich den jetzigen Wirrwarr,
Gesteh' ich, daß es mich reut.
Manteuffel:
was wühlst du in meinem Herzen?
vir ist es doch auch bekannt:
Die Ldelsten und die Besten
Soll'n jetzt nicht mehr herrschen im Land.
Bismarck:
Sie haben zu toll es getrieben
lln all ihrem Übermut;
Ich mußt's an mir selber erfahren,
Und denk' ich dran, Krieg' ich 'ne Wut.
Manteuffel:
was wollen'wir länger uns streiten?
Vas Unglück ist unerhört;
Vas große Werk meines Lebens
wird jetzt unerbittlich zerstört.
Bari Marx:
vergeblich streiten und jammern
Oie alten Unaben so sehr;
Sie schaufeln aus seinem Grabe
Das alte Preußen nicht mehr. Hans ziux.
o Die Lupe. °
Von Karl Brögcr.
Als in der dritten Adventwoche 1916 die
Franzosen bei Verdun aussielen, las Frau
Luise Masching den deutschen Kampfbericht
voll innerster Besorgnis. Wußte sie doch das
bayerische Ersatzregiment mitten im Kampf-
getümmel, weil August Maschings letzter Brief
aus der Gegend um Douanmont geschrieben
iv ar.
Zwei Jahre lag der Mann schon inl Feld,
und Frau Luise war diese Zeit her nie ganz
im Gleichgewicht der Gefühle gewesen. Doch
solche Unruhe hatte nie in ihr gewühlt. Frau
Luise fieberte in den Stunden, da der Post-
bote seinen regelmäßigen Rnndgang im Viertel
hielt. Immer stand sie zu diesen Zeiten unter
dem Haustor, heftete den brennenden Blick
fordernd auf den graubärtigen Briefträger
und hatte kaum mehr genug Kraft, die zwei
Treppen zu erklimmen, wenn er wieder den
Kopf schüttelte.
So ging der harte Winter über die Erde,
die er lang in seinem Bann hielt. Frau Luise
empfand ihn kaum. Die ersten Wochen hatte
sie wohl wie in einer eisigen Erstarrung ge-
lebt, war dem Leben ganz entrückt, und wären
nicht die beiden Kinder gewesen, vielleicht wäre
sie dem dunklen, abwärts ziehenden Gewicht
ihrer trostlosen Gedanken erlegen. Dann hatte
sie sich aber aufgerafst. Gewißheit mußte sie
haben, Gewißheit, was mit August Masching
geschehen war. Seit dem französischen Angriff
war er von der Welt gefegt wie ein Sand-
korn, das der Sturm entführt und achtlos in
einen verlorenen Winkel wirft.
Gerüchte von schweren Verlusten des Re,
gimenls gingen im Viertel schleichend um, im
Tausch von Mund zu Mund maßlos und sinn-
los aufgebauscht, wie alles, was die Furcht
gebiert. Frau Luise war hinter den Gerüchten
her, als verkündeten sie eine neue Heilslehre.
Irgend mußte sie entsprungen sein. Forschte
man diesen Punkt aus, dann war gleich sicherer
Boden unter den Füßen, Boden, auf dem sich
weitergehen ließ nach einem Ziel, das in den
Grenzen des Geschehens lag.
Es war saure, blutsanre Arbeit, der sich
Fran Luise da unterzog. Zehnmal entschwand
ihr der Faden aus den Händen. Reden, die
mit aller Bestimmtheit ausgesprochen und be-
legt wurden, lösten sich in Nebel auf, und oft
blieb nichts als die tatsachenlose Gaukelei
aufgeregter Hirne, denen sich das schreckliche
Geschehen draußen in krankhaften, unmög-
lichen Bildern spiegelte. Eins stand fest: Das
Regiment hatte standgehalten, war schwer
ins Gedränge gekommen und ließ viele Leute
gefangen in der Hand des Franzosen.
War August Masching unter ihnen? Vier
Monate kann selbst der Brief aus dem ent-
ferntesten Gefangenenlager nicht unterwegs
sein. Also mußte Masching verwundet sein
und derart, daß ihm das Schreiben unmög-
lich war. Ganz gleich, was mit ihm war. Nur
wissen und klar sehen! Dieses Schaukeln
zwischen Hoffnung und schmerzlicher Be-
fürchtung ging nicht mehr weiter. Bei
jedem Poststück, das zurückkam und den
Vermerk trug „Empfänger vermißt!",
erhob sich ein Sturm in der Brust, der
an den Grundfesten des Lebens rüttelte.
Hinter jedem kleinsten Anzeichen war
Frau Luise her. Sie hatte Augen und
Ohren überall, fand keinen Weg zu weit
und kein Wetter zu schlecht, dem schwäch-
sten Schein von Klarheit nachzuspüren,
und war ständig auf dem Sprung, da§
Rätsel zu entschleiern. Sie bestellte Zei-
tungen und Zeitschriften, gab selbst An-
fragen in allen möglichen Blättern auf
und schnitt sorgfältig alles aus, was
auf das Ereignis bei Verdun Bezug
nahm.
Diese ruhelose, kräftesressende Jagd
»ach Gewißheit überdauerte den ganzen
Winter und machte auch vor dem Früh-
ling nicht halt, der blau und lind am
wolkenfreien Himmel heranzog. Frau
Luise hatte keinen Blick für die spros-
sende Welt, achtete nicht, daß die Erde
grün wurde, und versank ganz in ihrem
frei erwählten Amt. Sie schrieb Briefe
in alle Welt, legte die Antworten in
ein braun gebeiztes Schränkchen, das
schon Ausschnitte von Zeitungen und
Zeitschriften, Bilder vermißter Soldaten und
ähnlichen Stoff barg, und hoffte mit jeder
Stunde, all das verbrennen zu dürfen, weil
ihr Klarheit geschenkt war.
An einem milden Maitag kam Kunde, die
ihr alles Blut zum Herzen trieb. Ein Ge-
fangener des Regiments hatte ein Gruppen-
bild aus dem Lager geschickt. Es waren viele
Kameraden auf dem Bild, die bei dem fran-
zösischen Angriff gefangen gingen. Frau Luise
eilte in das Haus, wurde freundlich teil-
nehmend empfangen und zu dem Bild ge-
führt, das bereits unter Glas und Rahmen
auf einem Ehrenplatz hing. Sie bat, das Bild
von der Wand nehmen zu dürfen, weil ihre
Augen nicht gehorchen wollten.
Einige hundert Männer drängten sich auf
dem engen Blatt, ältere und junge durchein-
ander, wie Fran Luise fand, mit seltsam gleich-
mäßigen Gesichtern, die es schwer machten, zu
unterscheiden. Sie besann sich scharf auf das
Aussehen ihres Mannes. August Masching sah
aus, wie ein kräftiger, einfacher Mann in den
Dreißigern auszusehen pflegt. Auffällig war
an ihm zunächst gar nichts. Eilig flogen die
Augen der Frau die Reihen entlang. Bei den:
und jenem stutzte der Blick, blieb zweifelnd
haften und irrte dann unsicher weiter.
Nach geraumer Zeit legte Frau Luise das
Bild aus der Hand. Das Gesicht wies einen
Ausdruck starker innerer Erregung, die Augen
glänzten und die Hände zitterten leicht, als sie
über das einfache Kleid strichen. Sie dankte
von Herzen für den großen Dienst. Den Fra-
gen, ob sie etwas gefunden hätte, wich Frau
Luise fast ängstlich ans, grüßte rasch und
ging weg.
Wirr schossen die Gedanken durcheinander.
Ihr Mann war auf dem Bild. Wunderliches
Gefühl, das plötzlich aufgestiegen war und
nicht mehr weichen wollte, so wenig der Augen-
Aus Frankreich.
3m Jenseits.
Manteuffel:
Der Preußenstaat wollte versinken
In kevolution und chual,
Da stab' ich ihn klüglich gerettet
Mit meiner Vreiklassenwahl.
Bismarck:
Du solltest so sehr dich nicht rühmen,
Venn wie ich immer gedacht,
Du hast mit deinem Gesetze
wahrhaftig nichts Gutes gemacht.
Manteuffel:
Za, hinterher ist wohl gut sagen,
Ls habe mein Werk nichts genützt,
Jedoch du hast dich recht gerne
Linst selber darauf gestützt.
Bismarck:
Daß ich es getan, das bekenn' ich,
Ls war zu unseliger Zeit,
Und seh' ich den jetzigen Wirrwarr,
Gesteh' ich, daß es mich reut.
Manteuffel:
was wühlst du in meinem Herzen?
vir ist es doch auch bekannt:
Die Ldelsten und die Besten
Soll'n jetzt nicht mehr herrschen im Land.
Bismarck:
Sie haben zu toll es getrieben
lln all ihrem Übermut;
Ich mußt's an mir selber erfahren,
Und denk' ich dran, Krieg' ich 'ne Wut.
Manteuffel:
was wollen'wir länger uns streiten?
Vas Unglück ist unerhört;
Vas große Werk meines Lebens
wird jetzt unerbittlich zerstört.
Bari Marx:
vergeblich streiten und jammern
Oie alten Unaben so sehr;
Sie schaufeln aus seinem Grabe
Das alte Preußen nicht mehr. Hans ziux.
o Die Lupe. °
Von Karl Brögcr.
Als in der dritten Adventwoche 1916 die
Franzosen bei Verdun aussielen, las Frau
Luise Masching den deutschen Kampfbericht
voll innerster Besorgnis. Wußte sie doch das
bayerische Ersatzregiment mitten im Kampf-
getümmel, weil August Maschings letzter Brief
aus der Gegend um Douanmont geschrieben
iv ar.
Zwei Jahre lag der Mann schon inl Feld,
und Frau Luise war diese Zeit her nie ganz
im Gleichgewicht der Gefühle gewesen. Doch
solche Unruhe hatte nie in ihr gewühlt. Frau
Luise fieberte in den Stunden, da der Post-
bote seinen regelmäßigen Rnndgang im Viertel
hielt. Immer stand sie zu diesen Zeiten unter
dem Haustor, heftete den brennenden Blick
fordernd auf den graubärtigen Briefträger
und hatte kaum mehr genug Kraft, die zwei
Treppen zu erklimmen, wenn er wieder den
Kopf schüttelte.
So ging der harte Winter über die Erde,
die er lang in seinem Bann hielt. Frau Luise
empfand ihn kaum. Die ersten Wochen hatte
sie wohl wie in einer eisigen Erstarrung ge-
lebt, war dem Leben ganz entrückt, und wären
nicht die beiden Kinder gewesen, vielleicht wäre
sie dem dunklen, abwärts ziehenden Gewicht
ihrer trostlosen Gedanken erlegen. Dann hatte
sie sich aber aufgerafst. Gewißheit mußte sie
haben, Gewißheit, was mit August Masching
geschehen war. Seit dem französischen Angriff
war er von der Welt gefegt wie ein Sand-
korn, das der Sturm entführt und achtlos in
einen verlorenen Winkel wirft.
Gerüchte von schweren Verlusten des Re,
gimenls gingen im Viertel schleichend um, im
Tausch von Mund zu Mund maßlos und sinn-
los aufgebauscht, wie alles, was die Furcht
gebiert. Frau Luise war hinter den Gerüchten
her, als verkündeten sie eine neue Heilslehre.
Irgend mußte sie entsprungen sein. Forschte
man diesen Punkt aus, dann war gleich sicherer
Boden unter den Füßen, Boden, auf dem sich
weitergehen ließ nach einem Ziel, das in den
Grenzen des Geschehens lag.
Es war saure, blutsanre Arbeit, der sich
Fran Luise da unterzog. Zehnmal entschwand
ihr der Faden aus den Händen. Reden, die
mit aller Bestimmtheit ausgesprochen und be-
legt wurden, lösten sich in Nebel auf, und oft
blieb nichts als die tatsachenlose Gaukelei
aufgeregter Hirne, denen sich das schreckliche
Geschehen draußen in krankhaften, unmög-
lichen Bildern spiegelte. Eins stand fest: Das
Regiment hatte standgehalten, war schwer
ins Gedränge gekommen und ließ viele Leute
gefangen in der Hand des Franzosen.
War August Masching unter ihnen? Vier
Monate kann selbst der Brief aus dem ent-
ferntesten Gefangenenlager nicht unterwegs
sein. Also mußte Masching verwundet sein
und derart, daß ihm das Schreiben unmög-
lich war. Ganz gleich, was mit ihm war. Nur
wissen und klar sehen! Dieses Schaukeln
zwischen Hoffnung und schmerzlicher Be-
fürchtung ging nicht mehr weiter. Bei
jedem Poststück, das zurückkam und den
Vermerk trug „Empfänger vermißt!",
erhob sich ein Sturm in der Brust, der
an den Grundfesten des Lebens rüttelte.
Hinter jedem kleinsten Anzeichen war
Frau Luise her. Sie hatte Augen und
Ohren überall, fand keinen Weg zu weit
und kein Wetter zu schlecht, dem schwäch-
sten Schein von Klarheit nachzuspüren,
und war ständig auf dem Sprung, da§
Rätsel zu entschleiern. Sie bestellte Zei-
tungen und Zeitschriften, gab selbst An-
fragen in allen möglichen Blättern auf
und schnitt sorgfältig alles aus, was
auf das Ereignis bei Verdun Bezug
nahm.
Diese ruhelose, kräftesressende Jagd
»ach Gewißheit überdauerte den ganzen
Winter und machte auch vor dem Früh-
ling nicht halt, der blau und lind am
wolkenfreien Himmel heranzog. Frau
Luise hatte keinen Blick für die spros-
sende Welt, achtete nicht, daß die Erde
grün wurde, und versank ganz in ihrem
frei erwählten Amt. Sie schrieb Briefe
in alle Welt, legte die Antworten in
ein braun gebeiztes Schränkchen, das
schon Ausschnitte von Zeitungen und
Zeitschriften, Bilder vermißter Soldaten und
ähnlichen Stoff barg, und hoffte mit jeder
Stunde, all das verbrennen zu dürfen, weil
ihr Klarheit geschenkt war.
An einem milden Maitag kam Kunde, die
ihr alles Blut zum Herzen trieb. Ein Ge-
fangener des Regiments hatte ein Gruppen-
bild aus dem Lager geschickt. Es waren viele
Kameraden auf dem Bild, die bei dem fran-
zösischen Angriff gefangen gingen. Frau Luise
eilte in das Haus, wurde freundlich teil-
nehmend empfangen und zu dem Bild ge-
führt, das bereits unter Glas und Rahmen
auf einem Ehrenplatz hing. Sie bat, das Bild
von der Wand nehmen zu dürfen, weil ihre
Augen nicht gehorchen wollten.
Einige hundert Männer drängten sich auf
dem engen Blatt, ältere und junge durchein-
ander, wie Fran Luise fand, mit seltsam gleich-
mäßigen Gesichtern, die es schwer machten, zu
unterscheiden. Sie besann sich scharf auf das
Aussehen ihres Mannes. August Masching sah
aus, wie ein kräftiger, einfacher Mann in den
Dreißigern auszusehen pflegt. Auffällig war
an ihm zunächst gar nichts. Eilig flogen die
Augen der Frau die Reihen entlang. Bei den:
und jenem stutzte der Blick, blieb zweifelnd
haften und irrte dann unsicher weiter.
Nach geraumer Zeit legte Frau Luise das
Bild aus der Hand. Das Gesicht wies einen
Ausdruck starker innerer Erregung, die Augen
glänzten und die Hände zitterten leicht, als sie
über das einfache Kleid strichen. Sie dankte
von Herzen für den großen Dienst. Den Fra-
gen, ob sie etwas gefunden hätte, wich Frau
Luise fast ängstlich ans, grüßte rasch und
ging weg.
Wirr schossen die Gedanken durcheinander.
Ihr Mann war auf dem Bild. Wunderliches
Gefühl, das plötzlich aufgestiegen war und
nicht mehr weichen wollte, so wenig der Augen-