Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
28 •-

Die Verzauberlmg

Modernes Märchen von K. M.

Der reiche Händler Sadi in Medina hatte
armen Leuten beim Verkauf der notwendigsten
Nahrungsmittel zu hohe Preise abgenommen.
Als der Zauberer Wurm das erfuhr, war er
empört, und da auch in Medina die Behörden
sehr nachsichtig gegen Wucherer waren, so be-
schloß er, die Strafe an dem Händler selbst zu
vollziehen.

Er begab sich zu ihm, verwandelte ihn in
einen Storch und sagte zu ihm: „Nicht eher
wirst du Mensch, als bis du Eier legen kannst.
Und nach einem Jahr sprechen wir uns wieder."

Sadi stand gleich darauf als Storch auf
einer Wiese. Ihn hungerte, und während er
bisher gewohnt war, sich an die reichgedeckte
Tafel zu setzen, mußte er jetzt Frösche, Eidech-
sen und Schlangen suchen. Und das war nicht
leicht.

Sadi war als Storch recht unbeholfen, und
die hurtigen und geschmeidigen Eidechsen ver-
schwanden sehr schnell, wenn er auf sie Jagd
niachte. Es gelang ihm nur, ab und zu einen
altersschwachen Frosch zu erwischen, doch dessen
Fleisch Kar zäh und schlecht zu verdauen, was
dem Storch Magendrücken verursachte, ein
Übel, das er früher nur nach Leckereien ge-
kannt hatte.

Sadi suchte andere Störche auf, mit denen
er sich nicht verständigen konnte. Daher mußte
er erst ihre Sprache lernen. O weh! War das
mühsam! Chinesisch war nichts dagegen, und
dabei hatte der Händler, weil er eben von
Jugend aus wohlhabend war, das Lernen flei-
ßigeren Leuten überlassen. Endlich beherrschte
er einige Brocken der schwierigen Sprache, und
erfragte einen Storch, der gerade mit der Frau
Gemahlin den Morgenspaziergang unternahm:
„Lieber Herr Kollege, können Sie mir nicht
sagen, wie man Eier legen lernt?"

Der Storch sah Sadi erstaunt an und flüsterte
ihm zu: „Wissen Sie, mit dem Eierlegen habe
ich mich noch nie abgegeben. Doch fragen Sie
meine Frau. Seien Sie aber höflich, denn sie
fühlt sich nicht ganz wohl." Sadi verbeugte
sich sehr tief vor der vornehmen Dame und
sagte: „Können Gnädigste mir vielleicht sagen,
wie man Eier legen lernt?"

Ohne Sadi auch nur eines Blickes zu wür-
digen, entgegnete Madame Störchin: „So et-
was lernt man nicht, so etwas kann man."
Dann winkte sie ihrem Herrn Gemahl und
schritt gravitätisch weiter, um die Morgen-
visite zu beenden. Der Gatte wagte nicht, noch
ein Wort mit Sadi zu wechseln. Er sah ihn
nur mitleidig an, zuckte mit den Flügeln, drehte
sich.um und folgte seiner Ehehälfte.

Und dann kam die lange Reise! Schon das
bißchen Fliegen über die Wiesen machte ihm
Beschwerden. Es half ihnr jedoch nichts; er
mußte mit. War das eine Reise! Wenn er
doch nie den Höchstpreis überschritten hätte.
Früher war er im Luxuszug gefahren, und
die Mahlzeiten hatte er in aller Ruhe im
Speisewagen eingenommen, jetzt mußte Sadi

hoch in den Lüften fliegen, wo es windig und
auch schon recht kühl war.

Und bei dem langen Fluge ging ihm fast
der Atem aus. Der Magen knurrte ihm, und
er war furchtbar matt, doch nur wenige Pausen
.wurden gemacht. Und wenn die Störche sich
zur Erde niederließen, stand für Sadi nicht eine
gedeckte Tafel bereit, sondern er mußte sich
das Essen suchen, was nicht leicht war, denn
die besten Bissen wurden ihm weggeschnappt,
da er immer noch nicht flink genug war. Mit-
unter wurde die Reise fortgesetzt, wenn der
arme Storch noch gar nichts genossen hatte.

In raschem Tempo ging es weiter. Und als
die Störche endlich am Ziel waren, befand sich
Sadi in einer Gegend, von der er früher nicht
einmal etwas gehört hatte. Schnee und Eis
lagen noch auf den Feldern; es war sehr kalt,
und der Storch fror, daß ihm der Schnabel
klapperte und die dünnen Beine zitterten. Und
hungern mußte er. Es war noch fast gar kein
Futter zu finden, und manchmal war er so
schwach, daß er sich kaum auf zwei Beinen
halten konnte. Und er sollte auf einem Fuß
stehen können. Ach, wenn er doch nie die Leute
betrogen hätte!

Sadi ertrug alle Strapazen mit unendlicher
Geduld, denn das Frühjahr war da, und jetzt
sollte ja das Eierlegen losgehen.

Und richtig! Kaum waren die Wohnstätten
der Vögel ausgebessert, als sich die Damen
niederließen, um die Eier zu legen. „Jetzt oder
nie!" dachte Sadi, und er flog von Nest zu
Nest, um zu lernen, wie die Eier gelegt wür-
den. Da er sich den werten Frauen in recht be-
denklicher Weise näherte, erhoben sie ein großes
Geschrei, und sie riefen ihre Gatten hinzu, die
den armen Storch mit ihren Schnäbeln bear-
beiteten. „So eine Frechheit!" fluchten sie.

Auf Sadis Entschuldigung, daß er nur habe
sehen wollen, wie die Eier gelegt würden, gaben
sie nichts. Als er seine Prügel weg hatte, stand
er gottverlassen in einem Winkel und jammerte.
Plötzlich näherte sich ihm eine alte Störchin,
die verwitwet war. Sie erklärte ihm, daß sie
gekommen sei, um ihn zu trösten, denn sie
habe von seinem Mißgeschick gehört. Als Jung-
geselle könne er das Eierlegen nicht lernen.
Das schicke sich nicht, wenn er aber heirate,
könne ihm niemand etwas anhaben, wenn ihm
seine Frau den nötigen Unterricht erteile.

Sadi blickte auf. Das war ja ein rettender
Ausweg. Zwar hatte ihm als Mensch der Ehe-
stand nicht behagt, doch jetzt hieß es in den
sauren Apfel zu beißen. Und er hielt um die
Hand der PLiiwe an, die sich — wie das alle
Frauen tun — zuerst ein wenig zierte, dann
aber freudig „ja!" sagte. Schon am nächsten
Tage war Hochzeit, denn Verlobung und ein
Aufgebot aüf dem Standesamt kennen die
Störche nicht. Jetzt begann für den armen
Sadi eine noch viel schlimmere Zeit.

Die Störchin hatte sich nur einen Mann ge-
nommen, um ein bequemes Leben zu führen.
Sie hatte weder ihre „volle Wirtschaft", noch
ihr „eigenes Heim", und Sadi mußte erst das
Nest bauen. Dabei verstand er davon noch

herzlich wenig. Und als nach vieler Mühe die
Wohnung fertig war, und die Frau sich an
das Eierlegen machte, erinnerte Sadi sie an
ihr Versprechen, ihm Unterricht zu erteilen.
Da lachte sie ihn aber gründlich aus. So ein
Dummkopf sei ihr noch nicht vorgekommen.
Als Mann wisse er nicht einmal, daß nur die
Weibchen die Eier legten. Und Sadi ging ein
Licht auf. Das war ja richtig, was ihm seine
Gattin sagte, doch zum Nachdenken ließ sie
ihm keine Zeit. Während sie es sich im Nest
bequem machte, mußte er andauernd Futter für
sie holen, und sie machte ihm noch Vorwürfe,
daß er sie nicht gut und ausreichend ernähre,
wie das seine Pflicht wäre. Besonders arg
setzte ihm die Gattin zu, als sie die Eier aus-
brütete.

Und als die Jungen kamen, war es gar
nicht auszuhalten. Der Storch mußte von früh
bis spät Frösche und Eidechsen suchen, um
seine ewig schreiende und stets hungrige Fa-
milie zu ernähren. Und seine Frau wurde täg-
lich schlimmer.

Aber es tröstete ihn der Gedanke, daß das
Jahr bald um war: Schlimmer, als es ihm
ergangen, konnte es ihm nicht mehr gehen.
So dachte er. —

Da stand der Zauberer vor ihm und sagte:
„Ich will Gnade vor Recht ergehen lassen und
dich wieder Mensch werden lassen." Sadi
wollte beglückt danken, da kam der Nachsatz:
„Und deine Gefährtin auch! Macht euch gegen-
seitig das Leben sauer, wie du es anderen
gemacht hast."

Weg war er. Und vor ihm stand ein keifen-
der Zankteufel, dem er nun angehörte.

„Ach," seufzte Sadi, hätte ich mich doch nie
des Wuchers schuldig gemacht." Aber da half
nun nichts mehr.

Schade, daß dies nur ein Märchen ist, und
daß es bei uns keine Zauberer gibt, die so
mit den Wucherern verfahren.

Das Ideal

Ich frage meinen kleinen Neffen: „Na, Fritz-
chen, was willst du einmal werden? Doktor,
Ingenieur, Kaustnann?" Da sagt Fritzchen mit
leuchtenden Augen: „Nein, Onkel, Ameri-
kaner!"

In allen Orten Deutschlands und der
deutschen Sprachgebiete desAuslands wie
in allen größeren Betrieben suchen wir

Kolporteure
zum vertrieb des wahrenZacob

und der Halbmonatsschrift der Deutsche»
Sozialdemokratie Die Neue Zeit. Gute
Provision ist zugesichert. Besonders der
Wahre Jacob eignet sich zum Massen-
absatz und zu einer alle vierzehn Tage
wiedcrkeyrenden Verdienfimöglichkeit.

I.H.W. Dietz Nächst G. m. b. G.
Stuttgart, Furtbachstraße 12.
 
Annotationen