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„Wie steht es mit dem Sieg meiner Sache?"
„Ich sehe ihn entfernt."

„And ich selber?"

„Sie sehe ich auch bald — entfernt."

„Hier wird nischt iibelgenommen!"

Von den vier nassen Ecken des Gasthauses
zur „Goldenen Gans" war die rechte hi»ten
am Fenster die gemütlichste. Da war der
Stammtisch: „Lier wird nischt übelgenommen! "

In Zierbuchstaben stand dieses Motto auf
einem Schilde, das engelhaft über dem ge-
waltigen Rundtische schwebte Lier ließ sich
der angebrochene Abend gut beschließen; denn
man schrieb das geruhige Jahr 1913 und trank
dazu ein vollmundiges Erlanger Bock. Zu
gewissen Stunden plätscherle das Gespräch
wie ein müdes Wässerchen um die Insel des
Tisches, aber zuweilen gingen auch die Wogen
hoch, namentlich wenn der Schreinermeister
Rausch erschien, und der erschien pünktlich
5 Minuten nach sieben Ahr.

10 -Minuten nach sieben Ahr fiel der erste
Faustschlag auf den alten Bohlentisch, daß
er in seinen Grundfesten erbebte, und die
Wohltätigkeitssparbüchse des Vereins „Fidele
Brüder" in die Löhe hüpfte. „Es muß einmal
anders kommen, so kann es nicht weitergehen I
Prost!"

Man stimmte dem zu, ohne eigentlich zu
wissen, warum. Der Alte vom Sachsenwalde,
der zwischen den Likörreklameschildern auf-
gehängt war, blickte sorgenvoll herab auf die
Runde der Philister und bekam jeden Tag
eine Falte mehr zwischen den gewaltigen
Augenbrauen. „Paßt auf! Jetzt geht's los"!
sagte dann der Schreinermeister. „Sie lassen
bloß noch das Völkerschlachtdenkmal einweihen,
«nein Schwager hat's aus sicherer Quelle.

1914. Man kam jetzt mehr als siebenmal
die Woche zummmen. Der Schreinermeister
strahlte Er hatte doch Recht gehabt. Es war
jetzt anderes Wetter in der Welt. Aeber dem
Stammtisch schwebte jetzt ein Zeppelin. Jeder
Sieg draußen bedeutete auch einen Sieg für
den Wirt zur „Goldenen Gans"; denn auf
jedem folgte eine beträchtliche Magentaufe.
Lerr Tierarzt Walther bestellte regelmäßig
unter ungeheurem Jubel Frikassö vom De-
kasse. „Prost!"

„Extrablatt da? Roch nicht? Nanu'? Frei-
tags kommt doch immer bissel was Expresses",
hieß es. Leider war der Steg nicht immer
pünktlich lieserbarfür die Runde. Manwartete
aber freundlich; denn „Lier wird nischt übel-
genommen ..."

And es ward wirklich anders, ganz anders.
Aber leider auch anders, als sich der Schreiner-
meister Rausch gedacht hatte. Die Gespräche
büßten an Leldenhaftigkeit ein und bewegten
sich auf der Linie: „Gott sei Dank, mein
Sohn ist im Lazarett oder in Garnison." Die
Wacht am Stammtisch wurde nur noch von
wenigen gehalten. Die alten germanischen
Trinksttten nahmen ab. Gegen neun Ahr trennte
man sich immerhin mit einem kräftigen Fluch
auf England.

Schreinermeister Rausch hielt es für richtig,
sich in diesen unruhigen Tagen zur Ruhe zu
setzen, und hatte nur noch einen guten Stern,
zu dem er aufblickte. Das war der große
Ordensstern an der Brust Lindenburgs, das
neuerdings mit „Augen gerade aus!" auf den
Stammtisch niederblickte. „Nein, so kann es

nicht weitergehen", sagte nach einem ganz
schüchternen Prost der Schreinermeister „man
muß Frieden schließen; man war zwar immer
noch für den Ludendorff-Frieden, aber —„Lier
wird nischt übelgenommen."

Nun wird es besser, dachte man, aber es
wurde schlechter, das Bier wurde zwar etwas
dicker, aber dafür tburer, man mußte sich den
abendlichen Rollmops abgewöhnen, auf dem
verödeten Stammtisch hing am ungeputzien
Messing die Fahne, an die die Motten gingen.
Den alten Wirt fegte die neue Zeit hinweg
und der. den der neue Wind brachte, verstand
die Zeichen der Zeit.

Er richtete kleine gemütliche Ecken ein, die
mit Weinlaub stimmungsvoll umrankt waren
und von jungem, zahlungsfähigem Volk be-
vorzugt wurden. Neue Gestalten tauchten auf,
von denen die Welt früher nichts ahnte. Wenn
man Glück hatte, konnte man hier den ersten
Reu-Millionär der Stadt sehen, der sich mit
einigen Russenkümmeln stärkte, ehe er in die
Dielen ging, wo er sich unter die Töchter des
Landes mischte. Manchmal hielten auch Alu-
minium-Automobile, denen pelzschwere Leute
entstiegen, und des Abends spielte ein Ka-
pellchen die den Bedürfnissen des Tages ent-
sprechenden Weisen.

Da erschien eines Morgens in dem rauch-
und parfümgeschwängerten Raume ein klapp-
riges Männchen und verkaufte Zeitungen mit
den neuesten Kursen. Er warf einen scheuen
Blick nach der Ecke, wo einstmals in guten
Tagen sein Stammtisch gestanden, auf den er
mit der Faust geschlagen und gesagt: „Es
muß einmal anders kommen, so kann es nicht
weitergehen." Es war der Schreinermeister
a. D. Rausch. Aber er zerdrückte nur eine
Träne in seinem rechten Auge; denn „Lier
wird nischt übelgenommen." A.V.



Neuer Verfassungsentwurf

für das Deutsche Reich

§ 1. Das deutsche Volk, einig in dem Ge-
danken, daß nur die größten Dämlichkeiten
ihm eine gesunde Zukunft garantieren, be-
schließt, sich bayerisch zu etablieren.

8 2. Die Negierungsgewalt geht von den
französischen Subsivien aus.

§ 3. Demzufolge sind die Reichsfarben blau-
weiß-rot.

8 4. Die Juden werden ausgerottet.

8 5. Die Arbeiter werden ausgerottet.

8 6. Das Symbol der christkatholischen Lan-
deskirche ist das Lakenkreuz. Stahlhelme als
Weibwasserbecken sind obligatorisch. Weih-
wasser ist den Wasserköpfen der National-
bünde zu entnehmen.

* v-

Vom Heldenmut

Die Putschistenbäupllinge Graefe, Wulle
und Lenning baten den Reichstag-Präsidenten
Loebe, sie vor erwarteter Verhaftung zu schützen.

Bedauerlich, daß, wenn man putscht.

Das Lerz leicht in die Losen rutscht!

Sieh da, die kühnen Enkel Teuts —

Es duftet schon, es müsst bereits!

Die Lelden, die so brav gehetzt.

Sie wimmern und sie winseln jetzt!

Die Losen bis zum Rand gefüllt.

Sind sie ein sehr getreues Bild,

Ein wohlgelungen Konterfei
Der ihr ergeb'nen Kumpanei!

Darum, so sei der Sorge los:

Sie putschen nicht, sie stänkern bloß! w.
 
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