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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1865 (Nr. 1-39)

DOI Kapitel:
No. 23 - No. 26 (7. September 1865 - 28. September 1865)
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178

zu Leipzig abgehaltcncn Sitzung beschlossen, die Abgeordneten-
versammlung auf den 1. Oktober d. I. nach Frankfurt ein-
zuberufeu. Hoffentlich werden bei dieser Versammlung die preu-
ßischen Abgeordneten sich zahlreicher cinfiuden, als es nach
verschiedenen Symptomen bis jetzt den Anschein hat. Eine Ver-
sammlung ausschließlich oder beinahe ausschließlich von den
Mittel- und Kleinstaaten beschickt, (an eine Bethciligung der
Oesterreicher ist ohnehin nicht zu denken) würde durch ihre
Beschlüsse eben nur die innerhalb dieser dritten Gruppe herr-
schende Gesinnung, aber nicht die Willensmcinnng der Nation
als einer Gesammtheit zum Ausdruck bringen, ihre Aussprüche
würden daher in dem nämlichen Verhältniß kraft- und wir-
kungslos sein, wie die Velleitätcn der mittelstaatlichen Regie-
rungen. Jndcß wäre das Wcgbleibcn der Preußen nur in
dem einen Falle zu rechtfertigen, wenn auf eine Verständigung
zwischen ihnen und ihrcu Collegen aus Drittdcutschland jede
Aussicht bereits geschwunden wäre.
Aus dem iuuern Leben Preußens ist wieder ein neuer
Fortschritt ans dem Wege zur tatsächlichen Aufhebung der
Verfassung zu verzeichnen. Das so lange für unmöglich ge-
haltene Vorgehen gegen die parlamentarische Redefreiheit hat
nun doch begonnen, Herr Twesien hat ein peinliches Verhör-
wegen seiner berühmten Rede über die preußische Justiz zu
bestehen gehabt, iudcß wie sich von selbst versteht, »unter Be-
rnfnug auf den einschlägigen Artikel der Verfasfuugsurkunde,
jede Antwort verweigert.
Der „Kreislauf des Lebens" im österreichischen Kaiser-
staat scheint jetzt in rascheres Tempo zu kommen und allen
Ernstes die Dinge von 1861 wieocrzubringen. In Einem Punkt
wirb sogar über die damalige Entwicklung bereits hiuausge-
grisfeu: der gegenwärtige sicbenbürgische Landtag soll aufgelöst
und ein neuer, auf Gruud der Wahlordnung von 1848 oder
wenigstens einer ihr nachgebildeten zu wählender einberufen
werden, welcher sich lediglich mit der Aufgabe zu beschäftigen
hat, die Union mit Ungarn vom Jahr 1848 wiederherzustellcu.
Damit ist denn eilt Hauptschritt zur Anerkennung der, 1861
noch bestrittenen, wenigstens thatsächlich nicht zugestandcucn
Integrität der ungarischen Krone gethan, und kommt die Union
zu Staude, so ist cs mit dem „weiteren Reichsrath" natürlich
auch vorüber. Ter Sitz des Landtags werd von dem sächsi-
schen Henuannstadt nach dem magyarischen Klausenburg zu-
rückverlegt, das siebeubürgischc Gnberuium ferner durch die
Mitglieder der Landesregierung von 1861 verstärkt. Das all-
zeit getreue Sachsen ist also wieder einmal das erste Opfer,
das auf den Altar der neuen Versöhnung mit Ungarn nieder-
gclegt wird. Ter ungarische Landtag selbst soll erst ein Paar-
Wochen später zusammenbernfen werden. Es muß sich daun
bald zeigen, ob wir, statt einer cinsachen Wiederholung des
Verlaufs von 1861, diesmal wirklich einen Ausgleich erleben
werden; gewiß ist nur so viel, daß die Ungarn auch heute
nicht gesonnen sind, ein wesentliches Stück ihres Nechtsbodeus
fallen zu lassen, die Zugeständnisse müßten also von diesseits
der Leitha kommen. Und nach allerlei Anzeichen zu schließen,
ist cs in der That nicht unmöglich, daß man den verzweifelten
Gedanken hegt, cs einmal mit dem förmlichen und vollstän-
digen Dualismus zu versuchen. Freilich, Herr von Marlüch
hat in seinem neulichen Rundschreiben gerade dies als dre
Hauptaufgabe sowohl der Negierung wie seiner ungarischen
Landsleute bezeichnet: „die Lösung der obschwcbenden staats-
rechtlichen Fragen in der Weise vorzubereitcu, daß die ver-
fassungsmäßigen historischen Rechte unseres Vaterlandes mit
dem Bestände und der Machtstellung der Monarchie in Ein-
klang gebracht" werden. Ganz richtig, ebenso wie nach dem
Rundschreiben seines Collegen, des Grafen Larisch, die Haupt-
aufgabe des Finanzministeriums ist, das Gleichgewicht zwischen
den Einnahmen und Ausgaben herznstellcn. Aber wie das
eine und das andere dieser schwierigen Probleme gelöst werden
soll, darüber hüllen sich beide rettende Staatsmänner in das
allertiefste Stillschweigen.

Frankreich. Tic französische Presse hak sich während de« ganzen
Verlaus« der jchlcswig - yotstcinijchcu Verwicklung lhcils wohlwollend,

theils wenigstens nicht feindselig gegen Deutschland geäußert und nament-
lich im Vergleich mit dem Gezeter und Gekeife der englischen Blätter
war ihre Haltung durchweg anständig und glcichmüthig. Um so bemer-
kenswerthcr ist der Zornausbruch, welcher durch die Salzburger Ueber-
einkunft in Frankreich hervorgcrufen worden und dies am heftigsten
gerade bei Blättern, welche wie der „Temps" bisher eifrig und beharrlich
für Deutschland Partei genommen hatten. In der That ist es nicht
etwa nachträglich erwachte Eifersucht und Mißgunst, Preußen gegenüber,
welches man auch in Paris als den Löwen des Gasteiuer Vertrags be-
trachtet, sondern es sind die demokratischen Instinkte des französischen
Volkes, die sich gegen die kavaliermäßige Rücksichtslosigkeit empören, wo-
mit die Cabinetspolitik über das Schicksal des „befreiten Landes" ver-
fügt. Was übrigens den Verkauf LauenburgS anlangt, so hätten die
Franzosen, wären sie nicht gar so vergeßlich, wohl Grund vor ihrer eignen
Thür zu kehren. Auch das Kaiserthum Frankreich hat, erst vor vier Jahren,
ein Stück Land für Geld an sich gebracht; daß es sich dabei nur nm ein paar
ärmliche Dörfer handelte, und daß die dortigen Seelen bedeutend besser be-
zahlt wurden als die Lauenburgischen, macht in der Sache nichts aus, im
klebrigen war das Geschäft mit dem Fürsten von Monaco, seinem Anlaß und
Umständen nach, das schmählichste der Art, das je vorgekommen. — Die
Decen tr alisa tio ns b ew e g nng jenseits des Rheins hat mit dem
Programm von Nancy eine bestimmte Gestalt gewonnen. Die Ziele, welche
dasselbe anfstelll, sind nach unseren Begriffen ziemlich bescheiden gesteckt;
aber immerhin dürfen wir darin das erste sichtbare Anzeichen einer be-
deutungsvollen Wendung, eines höchst wesentlichen Fortschritts begrüßen,
welchen der politische Gedanke in Frankreich gemacht har. Auf einen
augenblicklichen Erfolg dürfen die Männer der Coalition von Nancy
freilich ebenso wenig rechnen, als es bei uns in Deutschland — der Natio-
nalvercin konnte und durfte. Wie dieser, so haben sie nicht blos den zähen
Widerstand des Bestehenden gegen sich, sondern auch die eingewurzelte
Angewöhnung der Volksnatur. Wie bei uns die Partikularisteu über die
undeutsche „Ceutralisation" schreien, die wir ihnen zufolge anstreben, so
dort die demokratischen Imperialisten über den neuen Föderalismus,
welcher Frankreichs Staatseinheit aufzulösen trachte; wie unsere Radikalen
die Freiheit unbedingt un für alle Fälle über die Einheit, so stellen die
französischen ihre allgemeine Unlerthanen-Gleichheit über jede Art von
Sclbstregierung, wobei irgend etwas wie Aristokratie, znm Vorschein
kommt, lieber ewige Sklaverei, als eine Freiheit, wobei Jemand über
seinen Nachbar auch nur einen halben Zoll hervorragt. Dabei legt man
mit der größten Ungezwungenheit das demüthigende Geständnis; ab, daß
Frankreich für die Freiheit überhaupt noch nicht reif, die Despotie noch auf
lange die ihm geinäßeste Staatsform sei. Ganz ähnlich hier und dort ist end-
lich auch die Haltung der herrschenden Gewalt; wie unsere Regierungen,
namentlich die mittelstaatlichen Patrioten Benst, Dalwigk u. s. w. durch-
aus nicht gegen die Einheit sind, vielmehr ihre wärmsten Freunde, ganz
so ist auch das Kaiserreich sehr für die Decentralisation — aber natür-
lich nur für die „wahre", wohlverstandene. Glücklicherweise gibt cs in
beiden Ländern kaum mehr eine Seele, die sich über die vollkommene
Werthlosigkeit dieser offiziellen Surrogate noch in Täuschung befände.

Absolute EinheilsMitik.
D. Seit der Eisenacher Generalversammlung im vorigen
Herbste hört man von norddeutschen Stimmen häufig behaupten,
der Nationalverciu habe seiuc alte Fahue verlassen, er sei nicht
länger die Partei der deutschen Einheit u. s. w. Ohne daß wir
uns hier in eine Vertheidignng der Eisenacher Beschlüsse ein-
lassen möchten — bei deren Bcurtheiluug mau die voraufge-
gangene längere, aus patriotischeu Motiven fließende Unthä-
tigkeit des Vereins nnd die Schwierigkeit der damaligen Lage
nicht außer Acht lassen darf, — wollen wir dock, vom Stand-
punkte eines Norddeutschen aus, versuchen, jene An-
schauung zu bericktigeu.
Es ist historisch falsch, zu sagen, der Nationalvcrein habe
ursprünglich sein wollen oder sei jemals gewesen die „deutsche
Einheitspartei." Vielmehr war er in seiner Entstehung eine
Zusammenfassung der activeu liberalen Partei aus allen deut-
schen Ländern zu einer liberalen nnd patriotischen Gcsammt-
partei. Er gab dein Liberalismus der eiuzclstaatlichcu Oppo-
sitionen seine Ergänzung in einem nationalen Programm,
aber erstickte ihn nickt in der ausschließlich Acidenscl afckichen
Begeisterung für valcAändische Anfgaben. Vaterland und
Frei heit wurde sein Wahlspruch. Jene norddeutsche Partei,
welche vermöge ihrer Zusammensetzung, Geschichte und Lage
am ehesten bereit gewesen wäre, die Freiheit der Einheit uach-
zusctzen, die preußischen Alllibcralen, schlossen sich dem Na-
üoualvcrein in einzelnen Individuen, aber weder den Führern
noch der Masse nach an. Auf der andern Seite blieben ihm
auch jene süddeutschen Radikalen fern, welche nur für die Frei-
heit Sinn haben. Sowohl den Personen wie dem Dogma nach
wurde cr das Sammelbecken der Partei, welche nach Eiuhut
und Freiheit zugleich strebt, ohne die eine der andern zu opfern.
 
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