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Wölfflin, Heinrich; Dürer, Albrecht [Ill.]
Die Kunst Albrecht Dürers — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.27918#0084
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Die Xunst Mbrecht Dürers

gegen den Christus kniet; der Ausblick rechts, rvo man in der Ferne Judas rnit
den Häschern kommen sieht; die drei Jünger im Vordergrund. Die Schwierig-
keit der Gethsemane-Komposition liegt in diesem letzten Punkt und, um es gleich
vorauszusagen, die Tendenz bei Dürer und in der gesamten Kunst geht dahin,
die Jünger immer unscheinbarer zu machen. Sie sollen das Auge nicht zu
stark aus sich ziehn. Man nimmt sie mehr oder weniger als eine Masse zu-
sammen oder läßt sie zusammengehen in der Bewegung mit dem Terrain,
man zeigt nicht bei allen dreien das Gesicht oder setzt es doch in Schatten,
damit der Sinn nicht zerstreut und vom Hauptvorgang abgelenkt werde. Dürer
ist in seiner Komposition noch altertümlich, indem seine Jünger alle in fast
voller Sichtbarkeit und ungesähr gleich stark in ungefügen Ansichten dem Auge
sich darbieten. Sie sitzen bloß und haben den Kopf unterstützt, man soll
merken, sie sind vom Schlaf üb errasch t worden; es ist nicht das dicke Schlafen
auf dem Bauch, wie es die ältere Kunst hie und da gegeben hat, allein die Be-
wegung hat auch noch nirgends das Gelöste des Schlafes, und jener ergreisende
Ausdruck des Kummers, den Dürer später erreicht, scheint noch nicht einmal
angestrebt zu sein.

Auch das ist altertümlich, wie viel vegetabilisches Detail angebracht ist. Auch
die Felswand mit dem Buschwerk darauf ist unendlich sormenreich: in Platten
sich spaltendes Gestein, mannigsach verwittert und ausgefressen. Es sind Dinge,
wie sie im Kupferstich der Frühzeit gleichfalls vorkommen, und dort passen sie
noch besser hin, denn die Felsen Dürers haben alle einen metallischen Klang.

Die Geißelung ist die Szene der großen physischen Bewegung und als
solche für Künstler immer wertvoll gewesen. Die Schlagenden sind dabei meist
interessanter als der Geschlagene. Leider hat Dürers Blatt gar nichts von
der Schongauerischen Schaubarkeit, es ist mühsam zu besehn, weil alles in-
einandergekeilt ist. Die einzelnen Motive an sich aber sind einfach und gehn
an Kraftinhalt teilweise schon weit über Schongauer hinaus. Da ist ein Mann,
der am Boden hockt und die Füße gegen die Säule stemmt und mit beiden
Händen die Stricke festhält, mit denen Christus gebunden ist: solche Arme
waren in Deutschland noch nicht gezeichnet worden. Es ist wohl die beste
Figur des Bildes. Der Rutenbinder gegenüber wirkt schon darum befangener,
weil er noch als reine Flächenfigur in einer Ebene entwickelt ist. An sich aber
ist es wichtig, hier den Finger auf den archaischen Stil Dürers legen zu können,
ein gesunder Archaismus, der sich die schwierigen Dinge zunächst einmal auf
den einfachsten Ausdruck bringt. Das Blatt enthält in den zwei Schlagenden
noch weitere Beispiele hierfür. Christus selbst ist ein italienischer Akt. Nicht
mehr die grazile spätgotische Gestalt, sondern ein völliger und muskulöser
Körper, in Bewegung und Einzelzeichnung nach italienischer Art umgebildet.
 
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