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Wölfflin, Heinrich; Dürer, Albrecht [Ill.]
Die Kunst Albrecht Dürers — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.27918#0085
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Die große passion

59

Der Kopf ist stark verschnitten. Das Motiv des Reißens am Haar würde
Dürer später weggelassen haben.

Loos üomo. — Der eine, der leidet, und die Menge, die kein Mitleiden hat,
werden sich gegenübergestekkt. Schongauer hatte in kkarem Kontrast, sozu-
sagen Profik gegen Profik, die zwei Parteien einander entgegengesetzt, Dürer
gkaubte hier perspektivisch interessanter sein zu müssen und orientiert die Flucht
des Richthauses mit den Stufen, auf denen Christus steht, schräg zum Be-
schauer, wodurch er das Bkatt von vornherein verdarb, da er die Verkürzung
doch nicht richtig zu zeichnen imstande war?)

Die Christusfigur ist kkar und ausdrucksvokk gegeben, „erbärmlich", wie es in
der Situation liegt, aber gegenüber Schongauer doch gehaltener und würdiger.
Jm Tritt noch die spätgotische Zierkichkeit. Nebenfiguren, Dekoration und
dunkler Grund verbinden sich zu einem reichen Ganzen. Die Menge unten
sällt dagegen ab. Es fehkt der Wilke darin. Bis die Kunst eine Volksstim-
mung darstellen konnte, dauerte es noch kange. Meisterhast hat Holbein mit ganz
wenig Elementen beim Looo llomo den Eindruck der Menge so gegeben, daß
man den Sturm der Stimmen zu hören glaubt, aber schon Schongauer
ist darin weiter gekommen aks Dürer. Hier wirken die paar Personen
durchaus vereinzekt. Es sind aber auch sonst matte Redner (der vordere mit
charakteristischer kknklarheit in dem eigentümlich spätgotischen Schreiten). Am
besten ist der zuschauende Soldat mit Lanze bei Fuß, eine nach damakigen
Begriffen moderne Figur. Sie ist ähnlich verwendet im Kupferstich, auf dem
srühen Bkättchen der sogenannten sechs Soldaten.

Mit der Kreuztragung tritt Dürer in Konkurrenz mit dem berühmtesten
Stich Schongauers, dem großen frühen Einzelbkatt des Meisters, einer klaren
fküssigen Komposition von erstaunlichem Reichtum. Vorzüge und Mängel der
jungen Kunst kassen sich hier besonders deutkich erkennen. Das Strömen.de
hat Dürer nicht: der Zug ist still gestellt. Was mnn wahrnimmt, sind kauter
einzelne Figuren. Die Knechte, die bei Schongauer treiben und drängen, sind
hier ersetzt durch die Stehfigur des umbkickenden Soldaten, die schöne Pose
eines Statisten. Aber freilich, es ist eine Figur, wie sie Schongauer nicht
hätte geben können, so sest aufstehend auf dem Boden, mit durchgedrücktem
Knie und gespannten Muskeln der Waden. Da spricht der neue Stik. Zu

9 Nebenbei bemerkt, es kann auffallen, daß Dürer diese Blätter mit ihren elemen-
taren perfpektivischen Fehlern fpäter immer noch wciter nicht nur verkauft, sondern als
Geschenke uerwendet. Man muß annehmen, daß das Widrige perspektioischer Verstvße
damals, wo man den Übergang zum Richtigen eben erst gemacht hatte, doch nicht so
empfunden wurde wie von uns.
 
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