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Wölfflin, Heinrich; Dürer, Albrecht [Ill.]
Die Kunst Albrecht Dürers — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.27918#0123
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Das INarienleben

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große Gartentor hinaus, da macht die Mutter noch einmal den verzweifelten
Versuch ihn zum Bleiben zu bewegen: mit gerungenen Händen wirft fie fich
vor ihm auf die Kniee. Dieser Moment ist dargestellt. Es geht über allen
Ausdruck der ältern Kunst hinaus, mie die Mutter zum Sohne emporfieht,
wie die Gefährtin sie vom Boden emporheben will und es doch nicht tut,
und wie in die Gebärde so eine Dvppelbewegung hineinkommt als bedeutete
der gesenkte Arm ein Nachlasfen im Verlangen, ein Zurücktreten von der
Bltte, unter dem Eindruck des ernsten Blickes, mit dem Christus auf die
Knieende herabsieht. Er segnet sie, aber er bleibt zum Gehen gewandt.

Die Maria mit Heiligen hat uns darnach nichts mehr zu sagen. Wir
könnten ganz darüber hinweggehen, wenn es nicht noch einer stilistischen An-
merkung bedürfte, um diesem Blatt seine richtige Stelle zu geben. Vieler-
orts gilt es nämlich noch immer als spätere Zutat und doch scheint es fast
unmöglich in der bis zum Unleidlichen gedrängten und unklaren Komposition
mit der völligen Zerklüftung des Grundes die charakteristischen Merkmale
des Frühstils zu übersehen.

3.

Wie der Jnbegrisf alles Freundlichen, Gutmütigen und Sonnigen, was
das Marienleben enthält, erscheint mir die kolorierte Zeichnung der Alber-
tina: Maria mit den vielen Tieren, D. 460. (Vorstudium dazu in
Braunschweig, Sammlung Blasius D. 134). Das alte beschlossene Gärtlein der
Maria ist hier zum weiten osfenen Gelände geworden, mit Bergen und Meeres-
küsten und großen Wolken darüber. Der Hauptton ist ein lichtes Gelbgrün,
in dem die Figur als eine schimmernde Helligkeit darin sitzt, ganz weiß.
Nicht das Festliche ist die Absicht, wie seinerzeit bei der Maria mit den Hasen,
sondern die lächelnde Anmut. Jn muntern Falten bricht sich das Gewand
(ganz ähnlich wie auf dem kleinen Kupferstich von 1503), die Lilien und
Päonien kräuseln sich nochmal so zierlich, und wohin man blickt, regt sich's
von kleinem Leben. Der Pintscher sonnt sich am Boden und starrt einen
Hirschkäfer an, der auf ihn losgeht; das interessiert den Fuchs, der an seiner
Leine herankommt; im dunklen Loch haust das Käuzchen und der Uhu; ein
Papagei hockt auf dem Pfahl der Rasenbank, Rotkehlchen und Specht treiben
sich herum: ein großes Singen und Summen süllt die Sommerluft.

Mit dem Marienleben ist aber die Holzschnittproduktion der Zeit nicht er-
schöpft. Es gibt eine ganze Anzahl von Blättern gleichen Stils. Soll man
dns Beste nennen, so wäre es die Entrückung der hl. Magdalena (L. 121)
und der Besuch des Antonius bei Paulus (L. 107). Das eine ist eine

Wölfflin, Dürer 6
 
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