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Wölfflin, Heinrich
Gedanken zur Kunstgeschichte: Gedrucktes und Ungedrucktes — Basel, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.27251#0015
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So wenig es in der Absicht des Verfassers liegt, mit diesen Gedanken zur Kunst-
geschichte etwas wie ein letztes «Vermächtnis)) geben zu wollen, so ist es doch
nicht ganz zu vermeiden, daß beim Zusammenordnen alter und neuer Stücke
sich auch lebensgeschichtliche Rückblicke einstellen und daß also hie und da
von Persönlichem gesprochen werden muß, mehr als sonst anständig und üblich
ist. So mögen als Einleitung ein paar Sätze der Selbstcharakteristik ihren Platz
finden. •

Am Anfang meiner kunstgeschichtlichen Bemühungen erschien es mir als
nächste und lohnendste Aufgabe, ein Buch zu schreiben, in dem Kunstwerke'
systematisch analysiert würden. Der Plan bildete sich unter dem Eindruck, daß
die kunstgeschichtliche Literatur damals — meine Anfänge liegen ein halbes
Jahrhundert zurück — gar so weniges enthielt, was das Verlangen nach sach-
licher Erkenntnis befriedigen konnte. Die Handbücher begnügten sich mit sehr
allgemeinen und zusammenhanglosen ästhetischen Urteilen, und wo ein Künst-
ler ausführlicher behandelt wurde, in den Monographien also, da bekam man
zwar alles Mögliche aus der Umgebung der Kunstwerke zu hören, aber nur
wenig über die Sache selbst. Wer aber in Künstlerwerkstätten verkehrte,
mußte die Erfahrung machen, daß überhaupt zwischen den hier tätigen eigent-
lichen «Fachleuten)) der Kunst und den Historikern der Kunst eine tiefgehende
Trennung bestand, begreiflich, da in den zwei Lagern in ganz verschiedener
Sprache über die gemeinsame Angelegenheit gesprochen wurde. Hier also,
meinte ich, müßte eingesetzt und der Versuch gemacht werden, das Spezifische
der künstlerischen Leistung ins Licht zu rücken. Der Plan ist Plan geblieben.
Warum? Vor jede Frage stellte sich mir eine voraus zu erledigende Vorfrage.
Ich sah ein, daß man erst das Allgemeine beherrschen müsse, bevor man über
das Einzelne handeln könne. Nur aus der Kenntnis des allgemeinen Zeitstils
heraus, im geistigen und im formalen Sinne, läßt sich mit einiger Sicherheit eine
individuelle Arbeit beurteilen, und bevor man über einen italienischen Meister
sprechen dürfe, schien mir nötig, erst einmal die italienische Bildphantasie
überhaupt in ihrer nationalen Besonderheit zu erfassen. Später lernte ich auch
scheiden zwischen innerer und äußerer Form: es gibt allgemeine europäische
Stufen der Vorstellung, in denen ein künstlerisches Thema erst Gestalt ge-
winnt. Die Brücke des Six, eine der einfachsten Radierungen Rembrandts -
warum hat das Motiv erst in diesem Zeitpunkt überhaupt «gesehn» werden

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