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MAREES UND HILDEBRAND

nur und allein auf dieser Reliefauffassung unserer kubischen Eindrücke.» Sie
ist das Signum aller künstlerischen Epochen gewesen.

Im Einleitungskapitel hat Hildebrand die psychologischen Grundlagen für
seine Theorie des künstlerischen Sehens gegeben. Er war besonders stolz dar-
auf, betonte aber, er sei erst nachträglich darauf gekommen, nachdem ihm das
Phänomen als solches aus der Praxis schon bekannt war. Es müssen interessante
Unterhaltungen gewesen sein, als der Bildhauer mit Helmholtz, dessen Büste
er eben modellierte, diese Dinge besprach! Für die landläufige Vorstellung vom
Künstler ist es freilich befremdend, auf eine derartige Denkdisziplin zu stoßen,
und man fragt nach Vermittlern. Hat sein Freund, der Kunstpsychologe Fied-
ler, diese Rolle gespielt? Hildebrand leugnete das aufs Entschiedenste und be-
rief sich auf das philosophische Erbe durch Abstammung.

Es soll an dieser Stelle nicht untersucht werden, ob der Forderung des Auges
und der Vorstellung bei der Erklärung der künstlerischen Gestaltungsprinzi-
pien von Hildebrand nicht zu viel zugemutet worden sei - er hat selbst das Be-
dürfnis empfunden, in einer spätem Auflage der Sache noch von einem andern
Begriff her, dem Begriff des Architektonischen, beizukommen -, aber noch ein-
mal: ist nicht gerade der geforderte Flächencharakter eine ausschließlich klas-
sische Forderung? Und hat da nicht doch ein «Klassizist» ein Gesetz aufgestellt,
dem schon Bernini, der gesamte Barock die Botmäßigkeit versagten? Zugege-
ben, die Fassung ist stellenweise etwas starr, aber es sind doch ewige Wahrhei-
ten, die hier formuliert worden sind. Man kann ein Gesetz lockern, wie der
Barock es getan hat, deswegen bleibt das Gesetz doch bestehen, und der freieste
Bernini, eben weil er bewußt von einer Regel sich löste, bedeutet immer noch
etwas anderes als jene Kunst des 19. Jahrhunderts, für die es ein Bewußtsein
dieser Regel überhaupt nicht gab und als deren heilbringende, im Maß der
Wirkung kaum zu überschätzende Kritik Hildebrands Schrift und Werk ver-
standen werden wollen.
 
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