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Woermann, Karl [Editor]
Die antiken Odyssee-Landschaften vom Esquilinischen Hügel zu Rom: in Farben-Steindruck — München, 1876

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https://doi.org/10.11588/diglit.3256#0022
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der That ist die Art und Weise, wie aus der Fülle der homerischen Erzählung der Künstler das malerisch
Darstellbare herausgegriffen hat. Wo Abweichungen von der Einheit des malerischen Ganzen auf Kosten
der fortlaufenden Erzählung gemacht sind, wie am eklatantesten durch die Doppelszene auf dem Kirkebilde,
da muss dies zunächst auf Rechnung des friesartig fortlaufenden Charakters der Bilderreihe gesetzt
werden, welcher ein Entlangschreiten an der Wand und eine aufeinanderfolgende Betrachtung der Bilder
erheischt. Man wird unwillkürlich die Doppelhandlung auf jenem Kirkebilde aus diesem Grunde weit
weniger störend finden, als diejenige z. B. auf einigen neuaufgefundenen Aktaionbildern Pompejis, die
keinem friesartigen Zyklus angehören tb). Nach diesen Ausführungen wird man zugeben, dass der figürliche
Theil unserer Bilder für die Erweiterung unserer Kenntnisse der alten Kunst von höchster Bedeutung ist.
Freilich schliesst das Figürliche unserer Bilder stets an die Landschaft sich an. Sowohl in der Komposition
als im Kolorit ist dieser Anschluss sehr deutlich bemerkbar. Ohne den landschaftlichen Hintergrund
würden höchstens die Begegnungsszene auf dem ersten Bilde und die Mittelszene auf dem vorletzten
wirken. Im Allgemeinen sehen wir, dass die Gruppirung der handelnden Personen den Linien der
landschaftlichen Komposition in passender Weise gerecht wird; und dass dasselbe im Kolorit der Fall
ist, indem man sich überall gehütet hat, durch bunte Bekleidung der Figuren aus dem Tone der Gesammt-
stimmung zu fallen, ist auf den ersten Blick evident. In der That kommen nur ganz blasse, violette,
bläuliche und gelbliche Farben in den Gewändern der Figuren vor; und die einzige Ausnahme in dieser
Beziehung, welche auf dem Bilde Taf. IV in dem lebhaften Roth des Gewandes der einen Akte gemacht
ist, zeugt gerade auch ihrerseits von dem richtigen Sinne unseres Künstlers für die Unterordnung der
Farben unter ein Ganzes: denn die kräftige bräunlich rothe Farbe der Laistrygonen zur Linken würde
bei der weisslichen Hautfarbe in der hier, wie überall, die Frauen gemalt sind, ohne jenes lebhafte Roth
kein Gegengewicht gefunden haben.

Den Uebergang von der mythologischen Staffage zum Landschaftlichen bilden die Natur Personifi-
kationen, mit denen unsere Bilder reichlich versehen sind und die auch ihrerseits eine frühere Entstehung,
als in der alexandrinischen Epoche, energisch abweisen. Weisen sie einerseits auf eine erhöhte Natur-
betrachtung hin, so scheinen sie andererseits doch auf eine gewisse Unsicherheit des Künstlers in
landschaftlicher Darstellung hinzudeuten. Er glaubte selbst nicht, den gewünschten landschaftlichen Eindruck
hervorbringen zu können, ohne ihn durch solche Personifikationen zu heben. Wir haben ihnen übrigens
bei der Betrachtung der einzelnen Bilder Aufmerksamkeit genug geschenkt, um sie hier übergehen zu
können. Genug, dass auch sie, indem sie durch ihre Inschriften ein helleres Licht über einen bisher dunklen
Gegenstand verbreitet haben 16), die wissenschaftliche Bedeutung unserer Bilder erhöhen. —

Am wichtigsten aber sind unsere Bilder, und das soll somit gern eingestanden werden, für die
Vorstellungen, die wir uns von der antiken Landschaftsmalerei überhaupt zu machen haben. Hunderte
von kleinen mit Architekturen gespickten Vedutenbildern, hunderte von idyllischen und heiligen Landschaften
sehr verschiedenen Werthes haben sich auf Wandgemälden der alten Zeit in unsere Tage herübergerettet;
nur wenige Landschaften mit historischer und mythologischer Staffage aber waren bis zur Auffindung
unserer Bilder bekannt geworden; und die bekannten waren meist zu klein in den Maassen, um ein
deutliches Bild geben zu können. Ihre Gegenstände waren fast nur bestimmten Mythen entnommen,
natürlich solchen, die die Entfaltung eines landschaftlichen Hintergrundes schon durch den Stoff der Sage
bedingten: wie die Perseussage (Heibig, Camp. Wandg. 11S3, 11S4, 1203), die Sage von Daidalos und
Ikaros (Hdb. 1209 und 1210), von Aktaion, wie er die Diana überrascht (251, 252, 252b) und die in
dieser Beziehung besonders wichtigen Parisurteile (1282, 1283, i283b). Die wirksamsten derselben, d.h.
diejenigen, in denen Landschaft und Handlung sich am meisten gegenseitig bedingen, während die
Landschaft doch in so weit vorherrscht, dass sie nicht als Hintergrund auftritt, sondern die Figuren eher
als Staffage erscheinen lässt, sind, ausser mehreren Parisurteilen, die Landschaften des Museo nazionale
zu Neapel, welche die Befreiung der an den Felsen geschmiedeten Andromeda und den Sturz des Ikaros
in's Meer darstellen. Allein man »hat die landschaftliche Bedeutung dieser Bilder, auf die ich an anderer
Stelle näher eingehe, doch häufig' übertrieben, besonders indem man für Stimmung ansah, was nur
der farbenzerstörenden und gleichmachenden Wirkung der Zeit zuzuschreiben ist. So gut erhalten, von
so grossen Dimensionen und so prächtiger Gesammtwirkung, -wie unsere Odysseelandschaften, ist keine
einzige der übrigen erhaltenen antiken Landschaften mit historischer Staffage.

In Betreff der Naturnachahmung haben unserem Maler sicher Reminiszenzen an natürliche Gegenden

vorgeschwebt, ohne dass jedoch dieselben sich, vielleicht mit einziger Ausnahme der gelben Felsen der
ersten beiden Bilder, jemals zu erkennbarer Charakteristik gestalteten. Solche Berge, solche Buchten,
solche Gestade und solches Meer gibt es an allen griechischen und italienischen Küsten. Hat der Maler
also eine bestimmte Gegend individuell charakterisiren wollen, so ist ihm das nicht geglückt. Dagegen
ist die Wiedergabe der einzelnen Naturgegenstände bei aller hie und da befremdlichen Rundlichkeit der
Bergformen, bei aller stereotypen Allgemeinheit des Baumschlages, die der notorisch nur handwerksmässig
dekorativen Arbeit zur Last fallen, viel besser gelungen, als man erwarten sollte, sehr viel besser
jedenfalls, als auf den meisten erhaltenen Landschaften jener Zeit. Wir haben hier weder das gedankenlose
Verschwimmen der landschaftlichen Hintergründe, welches uns an vielen kampanischen Wandbildern so
störend auffällt, noch das phantastisch Gehäufte und bis in die Ferne Detaillirte, derselben, welches den
Bildern des Mittelalters und der Frührenaissance eigen ist; sondern wir sehen im Ganzen eine richtige
Abstufung und Unterordnung. Ein Vorgebirge, wie das, welches vom zweiten der Laistrygonenbilder
zum dritten sich hinüberzieht, ist gar nicht weit von guter Wiedergabe der Physiognomik der Erdoberfläche
entfernt. Charakteristisch genug sind die meerumspulten Klippen des Vordergrundes verschiedener Bilder
dargestellt; und ein Felsenthor am Meere, wie das auf dem ersten Unterweltsbild, vermeidet trotz der
sich hier doch gewiss bietenden Gelegenheit alle willkürliche Phantastik und schliesst sich sogar so treu
an die Natur an, dass es mich z. B. stets an Mörmers Gatt auf Helgoland erinnert, wie es vor seinem
Einsturz im Jahre 1865 aussah.

Vor allen Dingen nun müssen wir uns fragen: Welche Mittel der malerischen Technik standen
unserem Maler zu Gebote, um solche Wirkungen zu erreichen? Mit anderen Worten: Was ergibt sich
aus unseren Bildern für die Anwendung der Perspektive bei den Alten? Wir haben bei der Erklärung
der einzelnen Bilder stets auf dieses Moment aufmerksam gemacht und können daher jetzt unser Urtheil
dahin zusammenfassen, dass dem Maler in Bezug auf die Linearperspektive die Einheit des Horizontes
bekannt gewesen ist, dass er sehr wohl die Verkleinerung der Gegenstände in der Ferne beobachtet und
das scheinbare Zusammenlaufen der schrägen Seitenlinien wahrgenommen hat, dass er das einheitliche
Prinzip aber nicht gekannt zu haben scheint, welches mit mathematischer Gewissheit die ganze Komposition
beherrscht, die dann nur so und nicht anders sein kann. So sehen wir denn, bei sehr hoch genommenem
Horizonte, der Alles fast wie aus der Vogelperspektive erscheinen lässt, sich zwar Vieles ganz gut aneinander-
schieben und von einander ablösen, Vieles aber auch ganz unverstanden auseinanderfallen oder aneinander
hängenbleiben. Mit einem Worte: Gefühl sperspektive ist vorhanden, wissenschaftliche Perspektive nicht.

Aehnlich ist es mit der die künstlerische Haltung bedingenden Luftperspektive, nur mit dem Unter-
schiede, dass hier auch der moderne Künstler nur mit dem Gefühl arbeiten kann, freilich aber durch
treue Naturstudien sehr oft zur vollen Wahrheit durchdringt. Hier ist wohl das Gebiet der feinsten
Unterscheidung zwischen Künstler und Handwerker, zwischen ernstem Arbeiter und Routinier. Ein wahres
Kolorit entspringt niemals angelernter Uebung, sondern stets der treuen Naturbeobachtung eines echten
Künstlers. Gerade hier müssen wir uns also am ersten hüten, an unsere Bilder, welche notorisch nicht
viel mehr als die Stelle unserer Tapeten vertreten haben, den Massstab hoher Kunstwerke anlegen oder
sie selbst als Massstab des höchsten auf diesem Gebiete im Alterthum Geleisteten ansehen zu wollen.
Immerhin aber sehen wir den Hauptzug der Luftperspektive, der freilich auch jedem Kinde in der Natur
auffallen muss, dass nämlich die Gegenstände des Vordergrundes ausgesprochenere Lokalfarben haben,
als die des in's Violette und Bläuliche verschwimmenden Hintergrundes, auch auf unseren Bildern gewahrt.
In einzelnen Fällen, wie z. B. bei der Farbenabstufung des dritten Bildes, ist diese Erfahrung mit ganz
gutem Gefühl angewandt worden. Allein im Ganzen erscheint auch hier der richtige Treffer mehr als
Zufall, und die Abstufung geht in zu schroffer Trennung von vorn, mitten und hinten ohne alle Feinheit
der Haltung vor sich. Dieser Fehler, nächst der unvollkommenen Linearperspektive, ist es nach unseren
Begriffen vor allen Dingen, welcher unsere Bilder nicht als freie Kunstwerke, sondern als handwerksmassige
Dekorationsmalereien erscheinen lässt.

Ein Wiederschein der vollendeteren Vorbilder, wenn wir solche annehmen wollen, spiegelt sich aber
auch in der Farbenstimmung einzelner unserer Bilder auf's Unverkennbarste wieder. Wo der nachbildende
Dekorationsmaler Effekte erzielt hat, wie sie z. B. das grosse Unterweltsbild mit seinem geisterhaft-
stimmungsvollen Helldunkel bei klarer und charakteristischer Zeichnung hervorbringt, da dürfen wir die
Ausbildung der alten Landschaftsmalerei in ihren höchsten Leistungen auch nach der Stimmungsseite hin
 
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