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Woermann, Karl
Die Kunst der christlichen Völker vom 16. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts — Geschichte der Kunst aller Zeiten und Völker, Band 3: Leipzig, Wien: Bibliograph. Inst., 1911

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Franzöſiſche Glas- und Webemalerei. Der Kupferſtich. 275

3. Die franzöſiſche Malerei des 17. Jahrhunderts.

Mit beſonderer Klarheit ſpiegelt die Entwickelung der franzöſiſchen Kunſt ſich in der
franzöſiſchen Malerei des Grand siècle wider, deren Geſchichte in den älteren Werken von
Felibien, de Piles, d'Argensville, Lepicie, Mariette, de Chennevieres, de Montaiglon, Duſ-
ſieux wie in den neueren Schriften von Blanc, Berger, Merſon, Lemonnier, Marcel, Mantz,
Batiffol, Picavet und in zahlreichen Monographien gründlich unterſucht worden iſt. Die Par-
allelen zur franzöſiſchen Literaturgeſchichte (Corneille, Moliere, Racine) treten hier beſonders
handgreiflich hervor. Der Unterſchied zwiſchen der vielſeitigeren, freieren, gewiſſermaßen
nationaleren erſten und der akademiſch klaſſiziſtiſchen zweiten Hälfte des Jahrhunderts, deren
Richtung ſich ſeit Ludwigs XIV. Selbſtherrſchaft (1661) doppelt zielbewußt entfaltete, erſcheint
hier in ſeiner ganzen Schärfe. Aber auch die Entwickelung der Künſte aus vermeintlicher
zünftiger Knechtſchaft zu angeblicher akademiſcher Freiheit vollzog ſich nirgends ſo typiſch wie
in der franzöſiſchen Malerei dieſes Zeitraums. Der Sieg der Akademie über die zünftige
„Maitrise“, der um 1671 völlig entſchieden war, bedeutete tatſächlich doch den Sieg des
Hergebrachten über das Selbſtändige, des Allgemeinen über das Eigenartige, des Erlernten
über das Erſchaute. *

Eine Hauptaufgabe der franzöſiſchen Malerei des 17. Jahrhunderts war die Aus-
ſchmückung der Kirchen und Paläſte, die wir entſtehen ſahen, mit mächtigen Wand- und
Deckengemälden. Die kirchliche Glasmalerei, die in der gotiſchen Zeit die Wandmalerei ver-
treten hatte, lag in den letzten Zügen, wenngleich die lichtgrundigen Apoſtelfenſter von 1625
in der Kathedrale zu Troyes und von 1631 in Saint⸗Euſtache zu Paris noch eine gewiſſe
Weiterentwickelung im Übergang zur Hellglaſigkeit zeigen. Die franzöſiſche Webemalerei
aber, deren Teppiche in weltlichen öffentlichen Gebäuden noch oft genug die Wandmalerei er-
ſetzten, errang jetzt von neuem, wenn auch zum Teil unter den Händen niederländiſcher Werk-
meiſter und Arbeiter, die Vorherrſchaft, die ſie im 15. und 16. Jahrhundert an die Niederlande
abgegeben hatte. Sie blühte in der Provinz wie in Paris und erreichte ihre höchſte Blüte im
„Hötel“ der alten Färberfamilie Gobelin, in der „manufacture des Gobelins“ zu Paris,
die der Finanzminiſter Colbert 1662 unter Ludwig XIV. verſtaatlichte. Die Oberleitung
erhielt Lebrun; die Vorlagen, die ſich bis 1662 noch einigermaßen in den durch die Webe-
technik bedingten Stilgrenzen hielten, dann aber maleriſch reicher und weicher wurden, lieferten
außer ihm auch eine Reihe der anderen maßgebenden Maler der Zeit.

Erhalten hat ſich verhältnismäßig wenig von den zahlreichen franzöſiſchen Wand- und
Webemalereien des 17. Jahrhunderts. Doch ſorgten die gleichzeitigen franzöſiſchen Kupfer-
ſtecher, die ſich jetzt ebenfalls im Anſchluß an ihre niederländiſchen Vorgänger zu ſelbſtän-
diger Bedeutung emporarbeiteten, dafür, daß ganze Folgen großer Wand- und Deckendar-
ſtellungen wenigſtens in den Vervielfältigungen der Schwarzweißkunſt auf die Nachwelt kamen.
Robert Dumesnil und Dupleſſis haben den franzöſiſchen Kupferſtich zuſammenfaſſend behandelt.
Wie in Rom um Rafael, in Antwerpen um Rubens, bildeten ſich jetzt in Paris Stecherſchulen
um die berühmten Maler wie Vouet, Pouſſin, Champagne, Leſueur, Lebrun, Mignard uſw.,
die wir kennen lernen werden. Zu den älteſten Grabſtichelkünſtlern dieſer Reihe gehört
Claude Mellan (15981688), deſſen empfindungsvolle Selbſtändigkeit in Hiſtorien⸗ und
Bildnisblättern Gonſe in ein helleres Licht gerückt hat. War die Herſtellung ſeines Chriſtus-
kopfes mit einer einzigen, auf der Naſenſpitze beginnenden Spirallinie auch eine Spielerei,

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