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Woltmann, Alfred; Holbein, Hans [Ill.]
Holbein und seine Zeit (1. Band): Des Künstlers Familie, Leben und Schaffen — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.70660#0345
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HOLBEIN'S MALWEISE.

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darzuftellen. Demnach zeigen fämmtliche ächte Bilder eine haarfcharfe
Begrenzung in den Umriffen und ein völlig plaßifches Relief der Formen.)
Noch iß ihm das Beßreben fremd, durch einen weichen Übergang in den
Umriffen jene cigenthümlichen Verfchiebungen des ßereofkopifchen Bildes,
wie es durch das Sehen mit beiden Augen entßeht, künßlerifch nachzu-
ahmen. Feß, ßcher und fcharf umrißen wie mit einem Auge von feßem
Standtpunkt aus gefehen, flehen Vorder- und Hintergrund auf feinen
Bildern nebeneinander und er vermeidet ausdrücklich die Wirkung der
Luftperfpective an einer verfchleierten Behandlung des Hintergrundes er-
kennen zu laßen. Hand in Hand hiermit geht die überaus deutliche
Modellirung. Nirgends wird bei ihm der Schatten zu verhüllender Dun-
kelheit. Wie auf dem Grunde des klarßen Waffers ift auch das feinfle
Detail in den befchatteten Theilen erkennbar. Das Gefammtbild feiner
Gehalten erfcheint dabei eher in reliefartiger Modellirung, als in täufchend
plaftifcher Rundung. Eine aufserordentliche Freiheit und Meißerfchaft der
Hand geßattet ihm hierbei, die volle Naturwahrheit ohne alle conventio-
nellen Zuthaten in Schraffrung und Pikfelführung wiederzugeben; die
Umriffe find haarfcharf abgegrenzt, die Modellirungen von der größten
Beßimmtheit; und wie in den Studienzeichnungen die inneren Formen
nur da durch feße Umrifsßriche begrenzt find, wo für das Auge des
Befchauers die Oberfläche des Körpers ßch »umwendet«, fo verfpart Hol-
bein in feinen Gemälden im Innern der Geßchter die fcharf abgefetzten
Umriffe auf die Ränder der Nafe, die Lippenfpalte, die feinen Falten
der Augen, während die Modellirung der vor- und zurücktretenden Flächen
in überans zarten Übergängen von Licht und Schattentönen behandelt
iß. Die Gewänder, Schmuckfachen und anderes Beiwerk bis auf die
Handfehriften der Briefe und Zettel werden mit wunderbarer Beßimmt-
heit bis in die äufserßen Ecken ausgeführt, angedeutete oder fkizzirte
Nebenfachen kommen auf den Gemälden nicht vor.
In voller Harmonie mit diefer Weife zu zeichnen und zu modelliren
ßekt die Eigentkümlickkeit des Holbein'fcken Colorits, die fick ebenfowokl
in der Abßimmung der Farbentöne als in den chemifchen Eigenschaften
der Farben und ihres Bindemittels erkennen läfst. Die kervorßeckende
Eigenthümlichkeit der Farbenßimmung beruht wefentlick auf dem aus-
nahmslos befolgten Grundsatz des Meißers: den Localtönen in Licht und
Schatten diejenige Geltung zu belaßen, welche dem Eindruck der Natur
bei einer hellen und kühlen Beleuchtung in gefchloßenen von reflectirtem
Licht erfüllten Räumen entfprickt. Hierbei überwiegt die relative Hellig-
keit und Dunkelkeit der Localtöne vor der »Haltung« in Licht und Schat-
ten: das helle Fleifch, die dunkeln Gewänder, die weifse Wäfche bilden
die kervorßeckenden Contraße im Bild, nicht Lichtmaße und Schatten-
maße. Innerhalb der Localtöne aber erfolgt die Modellirung durch eine
 
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