VERGLEICH ZWISCHEN DÜRER UND HOLBEIN.
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diefe äufserlich nachahmen ftatt nur zu lernen, ift fein eigner Charakter
hark genug, um das Fremde wahrhaft verarbeiten zu können. Er ftellt
fich zur italienifchen Renaiffance wie fich diefe zur Antike ftellte. Was
er an deren Schöpfungen erblickt foll ihm nicht die Natur erfetzen und
ftatt ihrer zum Vorbilde dienen, fondern ergänzt ihm die Natur und hilft
ihm, fie klarer und reiner zu fehen. Er handelt nach derfelben Überzeu-
gung, welche Dürer fo fchön in Worte fafste1): »Gehe nicht von der
Natur in deinem Gutdünken, dafs du wolleft meinen, das beffer von dir
felbft zu finden. Denn wahrhaftig fleckt die Kunft in der Natur, wer fie
heraus kann reifsen, der hat fie.«
Diefe ergänzende Stellung Holbein's zu Dürer werden wir ebenfalls
gewahr, wenn wir feine Werke nach ihrem Gedankeninhalt anfehen; aber
in diefer Hinficht fleht er nur an zweiter Stelle neben dem bahnbrechen-
den Dürer, während er in formaler Beziehung fchöpferifch neue Pfade
geht. Nach der Seite des Gedankens und der Erfindung hin bewegt er
fich auf dem Boden, den Dürer für die vaterländifche Kunft überhaupt
erft gefchaffen hat. Dennoch ift feine Unabhängigkeit von diefem Meifter,
der auf die deutfchen Zeitgenoffen fonft fo zwingenden Einflufs übt, er-
ftaunlich. Manche Seiten, welche Dürer fehlen, bildet er aus. Ift Meifter
Albrecht in bunter, epifodenreicher epifcher Erzählung unerreichbar, fo weifs
Meifter Hans dafür das ausgefprochen Dramatifche fchlagender und zu-
gefpitzter zu geben. Neben dem humoriftifchen Ton fchlägt er auch den
fatirifchen, welcher Dürer fremd war, an. Bleibt ihm das Gebiet des
Grandios-Phantaftifchen, Übermenfchlichen, Unfafsbaren, welches Dürer
zu Geftaltungen lockt, verfchloffen, fo fleht ihm defshalb nicht minder das
Gewaltige und Dämonifche, wie in den Todesbildern, zu Gebote, aber er
überfteigt darin nie die Grenzen des Malerifchen, um fich in Phantafien,
die nur der Dichter zum Ausdruck bringen kann, zu ergehen. Während
bei Dürer manches Abfonderliche und Verzwickte der Form eben aus
jenem Überftrömen von Gedanken und Phantafie, die fich nicht zu laffen
wiffen, entfpringt, ift bei Holbein nie ein Zwiefpalt zwifchen Gedanken
und Form, zwifchen Wollen und Können, zwifchen dem Drang der Phan-
tafie und den Mitteln der Natur. Inhalt und Erfcheinung ftehen in reiner
Harmonie.
Auch Holbein's Schöpfungen endlich wachfen aus dem Boden ihrer
Zeit heraus, verkünden was diefe bewegt und erfüllt. Namentlich in jenen
zahllofen Erfindungen für den Holzfchnitt, die ächt volksthümlich-deutfche
Technik, nimmt er an den mannigfachen Beftrebungen der humaniftifchen
Literatur, an den Leidenfchaften und Kämpfen auf politifchem und religiö-
fem Gebiete theil, wird zum Herold der Reformation, indem er zwar nicht,
9 Proportionswerk III. T. 3b. — Citirt von Zahn S. 84.
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diefe äufserlich nachahmen ftatt nur zu lernen, ift fein eigner Charakter
hark genug, um das Fremde wahrhaft verarbeiten zu können. Er ftellt
fich zur italienifchen Renaiffance wie fich diefe zur Antike ftellte. Was
er an deren Schöpfungen erblickt foll ihm nicht die Natur erfetzen und
ftatt ihrer zum Vorbilde dienen, fondern ergänzt ihm die Natur und hilft
ihm, fie klarer und reiner zu fehen. Er handelt nach derfelben Überzeu-
gung, welche Dürer fo fchön in Worte fafste1): »Gehe nicht von der
Natur in deinem Gutdünken, dafs du wolleft meinen, das beffer von dir
felbft zu finden. Denn wahrhaftig fleckt die Kunft in der Natur, wer fie
heraus kann reifsen, der hat fie.«
Diefe ergänzende Stellung Holbein's zu Dürer werden wir ebenfalls
gewahr, wenn wir feine Werke nach ihrem Gedankeninhalt anfehen; aber
in diefer Hinficht fleht er nur an zweiter Stelle neben dem bahnbrechen-
den Dürer, während er in formaler Beziehung fchöpferifch neue Pfade
geht. Nach der Seite des Gedankens und der Erfindung hin bewegt er
fich auf dem Boden, den Dürer für die vaterländifche Kunft überhaupt
erft gefchaffen hat. Dennoch ift feine Unabhängigkeit von diefem Meifter,
der auf die deutfchen Zeitgenoffen fonft fo zwingenden Einflufs übt, er-
ftaunlich. Manche Seiten, welche Dürer fehlen, bildet er aus. Ift Meifter
Albrecht in bunter, epifodenreicher epifcher Erzählung unerreichbar, fo weifs
Meifter Hans dafür das ausgefprochen Dramatifche fchlagender und zu-
gefpitzter zu geben. Neben dem humoriftifchen Ton fchlägt er auch den
fatirifchen, welcher Dürer fremd war, an. Bleibt ihm das Gebiet des
Grandios-Phantaftifchen, Übermenfchlichen, Unfafsbaren, welches Dürer
zu Geftaltungen lockt, verfchloffen, fo fleht ihm defshalb nicht minder das
Gewaltige und Dämonifche, wie in den Todesbildern, zu Gebote, aber er
überfteigt darin nie die Grenzen des Malerifchen, um fich in Phantafien,
die nur der Dichter zum Ausdruck bringen kann, zu ergehen. Während
bei Dürer manches Abfonderliche und Verzwickte der Form eben aus
jenem Überftrömen von Gedanken und Phantafie, die fich nicht zu laffen
wiffen, entfpringt, ift bei Holbein nie ein Zwiefpalt zwifchen Gedanken
und Form, zwifchen Wollen und Können, zwifchen dem Drang der Phan-
tafie und den Mitteln der Natur. Inhalt und Erfcheinung ftehen in reiner
Harmonie.
Auch Holbein's Schöpfungen endlich wachfen aus dem Boden ihrer
Zeit heraus, verkünden was diefe bewegt und erfüllt. Namentlich in jenen
zahllofen Erfindungen für den Holzfchnitt, die ächt volksthümlich-deutfche
Technik, nimmt er an den mannigfachen Beftrebungen der humaniftifchen
Literatur, an den Leidenfchaften und Kämpfen auf politifchem und religiö-
fem Gebiete theil, wird zum Herold der Reformation, indem er zwar nicht,
9 Proportionswerk III. T. 3b. — Citirt von Zahn S. 84.