Irifche und germanifche Miniaturen.
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wird Derfelbe Stil ging auf den Schmuck der Fufsböden und der Wände
wie auf die Tracht der Barbaren über. Seine letzte verfeinerte Umgeftaltung
ift die irifche Handfchriftenmalerei.
Die Elemente des künftlerifchen Bücherfchmuckes find zunächfl die aus Charakter
der textilen Kunft übernommenen: Flechtwerk, Bandverfchlingungen, Zickzack, Ornamentik.
Knoten, geometrifche Figuren in mannigfaltigen, fymmetrifch entwickelten
Combinationen, Durchkreuzungen, Täfelungen, Gitterwerk; zweitens Motive
der Metalltechnik: Spiralen, aufgefetzte Nägelchen auf den Randleihen; drittens
einfachere Thierformen: Schlangenleiber, Vogelköpfe auf langen Hälfen,
Eidechfen, Hunde, Drachen, in welchen jenes Linien- und Bänderfpiel häufig
ausathmet. So kommen auch Thierbildungen, dem Linienornament anbequemt
und in einfachem Schema wiedergegeben, fchon auf jenen altgriechifchen Vafen
vor. Dagegen fehlt das Blattwerk, aus dem die Hauptmotive der claffifchen
Ornamentik hervorgingen, in den irifchen Manufcripten gänzlich.
Als ein viertes Element kommen endlich Verfuche in der Darhellung Fig“ra1jche
menfchlicher Gehalten hinzu. Aber das Bewufstfein von den Formen des fteihmgen.
menfchlichen Körpers, welches das Erbe der antiken Culturvölker war
und felbft in den Zeiten des Verfalles noch traditionell weiterlebte, ging den
barbarifchen Völkern ab. Sie behandelten Köpfe und Körper ebenfalls nur
als ein ornamentales Schema, vollkommen willkürlich, ohne Anfchauung und
Verftändnifs der natürlichen Formen, unfähig, ein wirkliches Abbild von
diefen zu liefern. Die Gehalten, fymmetrifch hingehellt, find aus Bändern
und Schnörkeln geronnen, die Geflehter, ganz von vorn genommen, ein
blofses Schema; Nafe und Mund behehen aus behimmten, hets wieder-
kehrenden Schreiberzügen, Augenbrauen und Nafenrücken find mit demfelben
Federhrich gezogen, und im Winkel zwifchen ihnen fitzen runde, harre, auf-
geriffene Augen; der Mund ihein einziger, den Nafenflügeln paralleler Schnörkel,
der fich in der Mitte nach unten etwas zufpitzt. Haar und Bart find aus
Spiralen zufammengefetzt und endigen oft in Zöpfen, die fymmetrifch, wie
Hörner, herauswachfen. Die Körper bilden eine aus wulhartigen Verfchling-
ungen behebende Maffe, aus der Arme und Füfse fymmetrifch hervorfchauen.
Die Andeutung des Cohüms befchränkt fich auf eine willkürliche Zufammen-
hellung farbiger Flächen, die allerdings Tunica und Mantel vorhellen follen,
aber kaum als folche kenntlich find, denn die einzelnen Theile deffelben
Gewandes zeigen häufig verfchiedene Farben, nur einem decorativen Wechfel
zuliebe. Ebenfo find einzelne Theile des Körpers oft in Farben gehalten, die
der Natur widerfprechen: Arme, Beine, Haare find roth oder blau; entfprechend
find die Thiere, etwa die Symbole der Evangelihen, behandelt; fo ih der Löwe
des Marcus im Evangeliarium des heiligen Columban mit grünen und rothen
Rauten gemuhert, als ob er in einer Harlequinsjacke heckte. Geficht und
Hände find immer farblos gelaßen, von Modellirung ih nirgends eine Spur,
auch die Figuren bleiben in der Fläche. Nicht blofs Einzelgehalten, wie die-
jenigen der Evangelihen (Fig. 54) fondern auch gröfsere Compofitionen, die
Madonna mit dem Kinde, von Engeln umgeben, David im Kampfe mit Goliath,
die Kreuzigung Chrihi, werden in diefem Stile dargehellt. In den Denkmälern
1) Im Kalender von Cashel. Vgl. Wattenbach, Schriftwefen, S. 313.
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wird Derfelbe Stil ging auf den Schmuck der Fufsböden und der Wände
wie auf die Tracht der Barbaren über. Seine letzte verfeinerte Umgeftaltung
ift die irifche Handfchriftenmalerei.
Die Elemente des künftlerifchen Bücherfchmuckes find zunächfl die aus Charakter
der textilen Kunft übernommenen: Flechtwerk, Bandverfchlingungen, Zickzack, Ornamentik.
Knoten, geometrifche Figuren in mannigfaltigen, fymmetrifch entwickelten
Combinationen, Durchkreuzungen, Täfelungen, Gitterwerk; zweitens Motive
der Metalltechnik: Spiralen, aufgefetzte Nägelchen auf den Randleihen; drittens
einfachere Thierformen: Schlangenleiber, Vogelköpfe auf langen Hälfen,
Eidechfen, Hunde, Drachen, in welchen jenes Linien- und Bänderfpiel häufig
ausathmet. So kommen auch Thierbildungen, dem Linienornament anbequemt
und in einfachem Schema wiedergegeben, fchon auf jenen altgriechifchen Vafen
vor. Dagegen fehlt das Blattwerk, aus dem die Hauptmotive der claffifchen
Ornamentik hervorgingen, in den irifchen Manufcripten gänzlich.
Als ein viertes Element kommen endlich Verfuche in der Darhellung Fig“ra1jche
menfchlicher Gehalten hinzu. Aber das Bewufstfein von den Formen des fteihmgen.
menfchlichen Körpers, welches das Erbe der antiken Culturvölker war
und felbft in den Zeiten des Verfalles noch traditionell weiterlebte, ging den
barbarifchen Völkern ab. Sie behandelten Köpfe und Körper ebenfalls nur
als ein ornamentales Schema, vollkommen willkürlich, ohne Anfchauung und
Verftändnifs der natürlichen Formen, unfähig, ein wirkliches Abbild von
diefen zu liefern. Die Gehalten, fymmetrifch hingehellt, find aus Bändern
und Schnörkeln geronnen, die Geflehter, ganz von vorn genommen, ein
blofses Schema; Nafe und Mund behehen aus behimmten, hets wieder-
kehrenden Schreiberzügen, Augenbrauen und Nafenrücken find mit demfelben
Federhrich gezogen, und im Winkel zwifchen ihnen fitzen runde, harre, auf-
geriffene Augen; der Mund ihein einziger, den Nafenflügeln paralleler Schnörkel,
der fich in der Mitte nach unten etwas zufpitzt. Haar und Bart find aus
Spiralen zufammengefetzt und endigen oft in Zöpfen, die fymmetrifch, wie
Hörner, herauswachfen. Die Körper bilden eine aus wulhartigen Verfchling-
ungen behebende Maffe, aus der Arme und Füfse fymmetrifch hervorfchauen.
Die Andeutung des Cohüms befchränkt fich auf eine willkürliche Zufammen-
hellung farbiger Flächen, die allerdings Tunica und Mantel vorhellen follen,
aber kaum als folche kenntlich find, denn die einzelnen Theile deffelben
Gewandes zeigen häufig verfchiedene Farben, nur einem decorativen Wechfel
zuliebe. Ebenfo find einzelne Theile des Körpers oft in Farben gehalten, die
der Natur widerfprechen: Arme, Beine, Haare find roth oder blau; entfprechend
find die Thiere, etwa die Symbole der Evangelihen, behandelt; fo ih der Löwe
des Marcus im Evangeliarium des heiligen Columban mit grünen und rothen
Rauten gemuhert, als ob er in einer Harlequinsjacke heckte. Geficht und
Hände find immer farblos gelaßen, von Modellirung ih nirgends eine Spur,
auch die Figuren bleiben in der Fläche. Nicht blofs Einzelgehalten, wie die-
jenigen der Evangelihen (Fig. 54) fondern auch gröfsere Compofitionen, die
Madonna mit dem Kinde, von Engeln umgeben, David im Kampfe mit Goliath,
die Kreuzigung Chrihi, werden in diefem Stile dargehellt. In den Denkmälern
1) Im Kalender von Cashel. Vgl. Wattenbach, Schriftwefen, S. 313.
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