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Zweites Buch. I. Periode. Erfter Abfchnitt.
gehen diefe phantaftifchen Verfuche weiter; Thierbildungen anderer Art, felt-
fame Ungeheuer, einzeln oder im Kampfe mit einander, Menfchcnköpfe,
Combinationen von Thier- und Menfchengeftalten finden fich ein b. Bei den
Franken dauerte diefer Stil bis gegen Ende des 8. Jahrhunderts. Aus diefer
Zeit flammt das Sacramentarium der Abtei Gellone bei Toulouse (Paris, bib.
nat. lat. 12048), das neben ichthyomorphen oder aus phantaftifchen Thier-
und Menfchengeftalten zufammengefetzten Initialen auch colorirte Zeichnungen
der Madonna, der Evangeliften mit Thierköpfen, der Kreuzigung in äufserfler
Roheit und Unförmigkeit enthält1 2).
Mifchung Auf dem Continent mifcht fich hie und da der irifche Gefchmack mit dem
irifchen und
fränkifchcn fränkifchcn oder dem altchriftlichen, wie in dem Evangeliarium des heiligen
Willibrord, Apoftels der Friefen (Paris, bib. nat. lat.
9389), in welchem Gold, das den irifchen Arbeiten fonft
fremd ift, in Verbindung mit zarten, gebrochenen Tönen
vorkommt. Das von einem Schreiber Thomas herrüh-
rende Evangeliarium in der Dombibliothek zu Trier
zeigt in fonft irifch flilifirten Füllungen ebenfalls mitunter
Gold und Silber, und die Canones haben hier bereits
architektonifche Umrahmungen nach altchriftlichem Vor-
bilde; ja manchmal klingen auch in den Figuren, etwa
in den Apoftelbruftbildern auf den Kanontafeln, altchrifl-
liche Typen an.
Eine unmittelbare Fortfetzung findet die irifche Ma-
lerei bei dem Nachbarvolke der Angelfachfen, deren
Arbeiten in der Ornamentik ganz den irifchen entfpre-
chen, aber in den Figuren fchon früh die Bekanntfchaft
mit altchriftlichen Bilderhandfchriften verrathen. So das
Cuthbert-Buch oder Evangeliarium von Lindis-
farne im British Mufeum (Cotton Mss. Nero D. IV),
ein lateinifches Evangeliarium mit angelfächfifchet Inter-
lineargloffe, nach einer Infchrift am Schlufse von Eadfrith
zu Ehren Gottes, des heiligen Cuthbert und aller Heili-
gen der Infel Lindisfarne gefchrieben. Das dortige Klo-
fter, dem Eadfrith in den Jahren 698—721 als Abt vor-
ftand, war eine irifche Stiftung. Die Verzierungen der
Handfchrift find auch vollkommen irifch, nur in zarterer
Farbe, bei leifer Anwendung von Gold, aber die Bilder der vier Evange-
liften verrathen eine gewiffe Kenntnifs altchriftlicher und fpeciell byzantinifcher
Vorbilder, indem auch die Infchriften auf denfelben (6 clyiog, oft unortho-
graphifch) auf Bekanntfchaft mit griechifchen Schriftwerken deuten. Durch
ihre barbarifche Plumpheit bleiben diefe Figuren allerdings weit gegen ihre
Mufter zurück, aber fie find wenigftens nicht mehr blofse Schnörkel, ihr
Urheber hatte die Abficht, Menfchen darzuftellen. Geflehter und Körper find,
Angelfächfi-
fche Hand-
fchriften.
Fig. 55. Initiale aus einer
Handfchrift in Laon.
Nach Fleury.
1) Gute Proben feit dem 7. Jahrhundert bei Ed. Fleury, Les manuscripts a miniatures de la
bibliotheque de Laon, 2 Bände, Laon 1863, 1864, 40.
2) Abbildungen bei Lacroix et Serre, Le moyen äge et la renaissance, III.
Zweites Buch. I. Periode. Erfter Abfchnitt.
gehen diefe phantaftifchen Verfuche weiter; Thierbildungen anderer Art, felt-
fame Ungeheuer, einzeln oder im Kampfe mit einander, Menfchcnköpfe,
Combinationen von Thier- und Menfchengeftalten finden fich ein b. Bei den
Franken dauerte diefer Stil bis gegen Ende des 8. Jahrhunderts. Aus diefer
Zeit flammt das Sacramentarium der Abtei Gellone bei Toulouse (Paris, bib.
nat. lat. 12048), das neben ichthyomorphen oder aus phantaftifchen Thier-
und Menfchengeftalten zufammengefetzten Initialen auch colorirte Zeichnungen
der Madonna, der Evangeliften mit Thierköpfen, der Kreuzigung in äufserfler
Roheit und Unförmigkeit enthält1 2).
Mifchung Auf dem Continent mifcht fich hie und da der irifche Gefchmack mit dem
irifchen und
fränkifchcn fränkifchcn oder dem altchriftlichen, wie in dem Evangeliarium des heiligen
Willibrord, Apoftels der Friefen (Paris, bib. nat. lat.
9389), in welchem Gold, das den irifchen Arbeiten fonft
fremd ift, in Verbindung mit zarten, gebrochenen Tönen
vorkommt. Das von einem Schreiber Thomas herrüh-
rende Evangeliarium in der Dombibliothek zu Trier
zeigt in fonft irifch flilifirten Füllungen ebenfalls mitunter
Gold und Silber, und die Canones haben hier bereits
architektonifche Umrahmungen nach altchriftlichem Vor-
bilde; ja manchmal klingen auch in den Figuren, etwa
in den Apoftelbruftbildern auf den Kanontafeln, altchrifl-
liche Typen an.
Eine unmittelbare Fortfetzung findet die irifche Ma-
lerei bei dem Nachbarvolke der Angelfachfen, deren
Arbeiten in der Ornamentik ganz den irifchen entfpre-
chen, aber in den Figuren fchon früh die Bekanntfchaft
mit altchriftlichen Bilderhandfchriften verrathen. So das
Cuthbert-Buch oder Evangeliarium von Lindis-
farne im British Mufeum (Cotton Mss. Nero D. IV),
ein lateinifches Evangeliarium mit angelfächfifchet Inter-
lineargloffe, nach einer Infchrift am Schlufse von Eadfrith
zu Ehren Gottes, des heiligen Cuthbert und aller Heili-
gen der Infel Lindisfarne gefchrieben. Das dortige Klo-
fter, dem Eadfrith in den Jahren 698—721 als Abt vor-
ftand, war eine irifche Stiftung. Die Verzierungen der
Handfchrift find auch vollkommen irifch, nur in zarterer
Farbe, bei leifer Anwendung von Gold, aber die Bilder der vier Evange-
liften verrathen eine gewiffe Kenntnifs altchriftlicher und fpeciell byzantinifcher
Vorbilder, indem auch die Infchriften auf denfelben (6 clyiog, oft unortho-
graphifch) auf Bekanntfchaft mit griechifchen Schriftwerken deuten. Durch
ihre barbarifche Plumpheit bleiben diefe Figuren allerdings weit gegen ihre
Mufter zurück, aber fie find wenigftens nicht mehr blofse Schnörkel, ihr
Urheber hatte die Abficht, Menfchen darzuftellen. Geflehter und Körper find,
Angelfächfi-
fche Hand-
fchriften.
Fig. 55. Initiale aus einer
Handfchrift in Laon.
Nach Fleury.
1) Gute Proben feit dem 7. Jahrhundert bei Ed. Fleury, Les manuscripts a miniatures de la
bibliotheque de Laon, 2 Bände, Laon 1863, 1864, 40.
2) Abbildungen bei Lacroix et Serre, Le moyen äge et la renaissance, III.