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Woermann, Karl; Woltmann, Alfred [Hrsg.]; Woermann, Karl [Hrsg.]
Geschichte der Malerei (Band 3,1) — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.48521#0032
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Fünftes Buch. Erfter Abfchnitt.

Venedigs dienen, leitete der Camaldulenfermönch Girolamo Bardi. Das Ganze
ift ein überaus glänzendes Denkmal des venezianifchen Reichthums und der
künftlerifchen Eigenart Venedigs; und doch ift es nur ein kleiner Bruchtheil
deffen, was damals hier gefchaffen wurde. Die reiche Production entfaltete
zugleich ein reges, felbftbewufstes receptives Kunftleben. Zwifchen Publicum
und Künftlern beftand damals bereits ein folcher Wechfelverkehr, dafs in der
Kunftaus- Merceria am Rialto eine Art permanenter Kunftausftellung ftattfand, durch welche
Heilungen. e x °
die jungen Künftler fich bekannt zu machen fuchten.
Eine der Spitzen der Schule in diefer Zeit ift zunächft Jacopo Robuftiß der
von feinem Vater, einem Färber (tintore) von Beruf, feinen bekannten Beinamen
UTintoretto. Tintoretto« empfing. Im Jahre 15181 2) zu Venedig geboren und zunächft in
Tizians Atelier gebildet, gehört er mit feinen früheren Werken nicht nur ihrer
Zeit, fondern auch ihrem Stile nach noch der goldnen erften Hälfte des Jahr-
hunderts an; fein raftlofer Feuergeift aber und feine Sucht, Neues zu fchaffen
und Auffehen zu erregen, liefsen gerade ihn bald mit vollem Bewufstfein eine
Verfchmelzung der florentinifchen mit der venezianifchen Kunftweife erftreben.
Sein Stil. Nun fchmiickte er feine Werkftatt mit den oft citirten Worten: »II disegno di
Michelangelo ed il colorito di Tiziano« (Die Zeichnung M.’s und die Färbung
T.’s), gab fich fleifsig dem Studium der Anatomie und des Modells hin und
eignete fich wirklich ein tüchtiges Formenverftändnifs an. Doch befafs er Selb-
ftändigkeit genug, um aus den verfchiedenen Elementen, die auf ihn eingewirkt
hatten, etwas eigenes, neues zu bilden; und diefes neue, eigene, frifch bewegt
in den Formen, dramatifch-lebendig in der Auffaffung, grofsartig-einheitlich in
der Vertheilung von Licht und Schatten, tief und warm in der Farbe, war
herrlich und packend, fo lange oder fo bald er es für der Mühe werth hielt,
fich die nothwendigfte Mufse zur Ausführung zu laffen. Leider aber war das
nur feiten der Fall. In der Regel arbeitete er, von einem faft fanatifchen
Drange getrieben, möglichft viele und möglichft grofse Flächen mit feinen
Malereien zu bedecken, mit überzeugungslofer Haft. Wenn irgend ein Maler als
geiftreicher Improvifator zu bezeichnen ift, fo ift er es; und geiftvoll ift er faft
immer; und ganz neue Auffaffungen der überlieferten Stoffe überrafchen uns
auch in feinen flüchtigften Darftellungen; aber freilich darf man an die Mehrzahl
feiner Werke keinen abfolut gültigen Mafsftab anlegen; freilich mufs man faft
bei allen manche Gefpreiztheiten und Unmöglichkeiten der Zeichnung in den
Kauf nehmen; und freilich hat die durchgewachfene dunkele Grundirung viele
feiner Bilder im Laufe der Jahrhunderte jedes Farbenreizes beraubt; ja auch
wo feine Färbung nicht viel von ihren urfprünglichen Tönen eingebüfst zu haben
fcheint, ift fie oft eintönig genug, da er im Sinne der letzten Arbeiten Tizians
die Farbe manchmal abfichtlich in Ton und dann oft in einen keineswegs
angenehmen, fchwer-bräunlichen Ton auflöfte. Wie er uns in feinen erhaltenen

1) Aeltere Quellen: Vafari (Ed. Milanefi) VI, p. 587—594. — Ridolfi, Le maraviglie etc. (ed. 1837)
II, p. 171—258. — (Zanetti) Della pittura veneziana (1771) p. 127—162. — Neuere Literatur:
Galanti »II Tintoretto« in den Atti della R. Accademia di Belle arti in Venezia 1876. — Auf felb-
ftändigen Forfchungen beruht auch H. Janitfcheks Arbeit über Tintoretto in »Kunft und Künftler«.
2) Selbft Milanefi läfst es in feiner Vafari-Ausgabe noch bei Ridolfi’s Angabe ij12 bewenden.
Dagegen aber Janitfchek a. a. O. S. 32. Anm. 1.
 
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