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Woermann, Karl; Woltmann, Alfred [Hrsg.]; Woermann, Karl [Hrsg.]
Geschichte der Malerei (Band 3,1) — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.48521#0146
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134

Sechstes Buch. Erfter Abfchnitt.

Seine Land-
schaften in
der Galerie
Doria zu
Rom.

Ihr
Charakter.

zeichnet hatte, die uns durch die Stiche des Niederländers Corn. Cort (oben S. 128)
überliefert worden find, fo ift Annibale Carracci neben Agoflino doch wohl der
erfte gewefen, der in Italien felbftändigen Landfchaftsdarftellungen, wenn er die-
felben auch nur in den feltenften Fällen von der biblifchen oder mythologifchen
Staffage befreite, zu künftlerifchem Anfehen verhülfen hat; und feine grofsartige,
freie, ftets die Gefammtwirkung beherrfchende Auffaffung der Landfchaft wurde
dann nicht nur für Italien, wo fie doch bald nur allzu decorativ wurde, mafs-
gebend, fondern wirkte auch auf den Norden zurück, der feine an fich innigere
und gehaltvollere Auffaffung der Natur durch fie mit einem gröfseren, frifchen
Zuge ausflatten lernte. Man mufs Annibale Carracci in manchen Beziehungen
einen entfcheidenden Einflufs auf den Landfchaftsflil Paul Bril’s, Claude Lorrains,
Poussin’s und Dughet’s zugeftehen. Um ihn als Landfehafter zu würdigen,
müßen wir von feinen vier gröfseren und zwei kleineren Landfchaften in
halbrunder Geftalt ausgehen, welche urfprünglich offenbar Lünettendecorationen
gewefen find, jetzt aber im dritten Arm der Galerie Doria in Rom aufgehängt
find. Von den vier -gröfseren zeigt die erfte, welche aus einem von edel-
geformten Bergen, üppigem Waldrand und alten Grabmonumenten umgebenen
blauen See befiehl, die Himmelfahrt Mariae als Staffage und glüht in faft
venezianifcher Farbentiefe; die zweite, auf der die Flucht nach Aegypten dar-
geftellt ift, ift etwas kühler im Ton, zeigt aber mit ihrem Caftell, ihrem
Waffewalle, ihren hohen blauen Bergen über dem grauen Landfee, ihrem Fluffe,
der fich durch Felfen windet, eine grofsartig durchgearbeitete Compofition;
die dritte, welche die Anbetung der Könige zur Anfchauung bringt, ift eine
Prachtlandfchaft voll tiefer Farbenglut, in der die bunten Gewänder der
Staffage lebhaft mitfprechen, und von einer geiflreichen Anordnung, welche
durch den vorn wachfenden fchlanken vollbelaubten Baum, der das Bild in
zwei ungleiche Hälften theilt, einen eigenthümlichen Reiz erhält; die vierte ift
mit der Grablegung des Heilands gefchmückt und übt mit ihrem fintieren
Feifenvordergrund, ihrer fonnenbeleuchteten Stadt in der Mitte, ihrer fernen,
grünblauen Gebirgslandfchaft unter röthlichem Abendhimmel eine eigenthümlich
ernfte, ergreifende Wirkung auf untere Stimmung aus. Von den beiden kleineren
ftellt die eine die Begegnung der Frauen in gut abgewogener Compofition bei
klarem, frifchen Tageslichte, die andere die Geburt des Heilands als Nachtftück
ohne fonderliche Wirkung, wenn auch mit eigenem, vom Kinde ausftrahlenden
Lichte dar. Die decorative Beftimmung, die alle diefe Landfchaften hatten,
beeinfluffte offenbar und natürlicherweife ihre Geflaltung und ihre Haltung;
und die übrigen Landfchaften Annibales zeigen denn auch alle mehr oder
weniger cliefen decorativen Zug, der einerfeits unzweifelhaft befreiend wirkte,
andererfeits aber doch auch einen hemmenden Einflufs ausübte. Grofs und
energifch find faft alle Landfchaften Annibale’s gehalten; die Berge, die Bäume,
die Gebäude und das Waffer find die Elemente, aus denen fie zufammengefetzt
und oft geiflvoll, lebendig und organifch überzeugend zufammengefetzt find;
auch ihr warmer, tiefer Ton athmet in der Regel diefelbe Energie undFrifche;
aber der Reiz des individuellen Lebens, der unmittelbaren Einzelbeobachtung,
der echt der Atmofphäre und nur ihr abgelaufchten Stimmung fehlt ihnen
noch. In den Hauptgalerien der europäifchen Grofsflädte find fie recht gut
 
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