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Sechstes Buch. Zweiter Abfchnitt.
Beliebtheit
der
fpanifchen
Malerei des
17. Jahr-
hunderts.
Genre- gemalt worden. Auch die Bildnifsmaler aber fanden den Uebergang zur Genre-
malerei, indem fie hier, wie in Holland, von Zeit zu Zeit das Bedürfnifs fühlten,
anftatt der vornehmen Herrfchaften, welche ihnen jede Sitzung bezahlten,
umgekehrt einmal Männer, Frauen und Kinder aus dem Volke zu malen, denen
fie die Sitzung bezahlten. Wo das Porträtftück aufhört und das Genrebild
anfängt, ift bei diefem Verhältnifs nicht immer leicht zu fagen. Der Zufammen-
hang der fpanifchen Genre- mit der Bildnifsmalerei verräth fich aber auch darin,
dafs jene nur feiten beflimmte, ausgeprägte Handlungen darftellt und noch
feltener unter die Lebensgröfse herabfinkt. Es find in der Regel mehr Studien
nach Volkstypen, als Genrebilder, die mit dem Bewufstfein der befonderen
Gefetze diefer Gattung gemalt wären. Studien diefer Art aber erhielten den
fpanifchen Malern jenen frifchen und lebendigen Naturalismus, der fie auszeichnete.
Malere?.'-^uc^ den Uebergang zum Gefchichtsbild fanden fie vom Porträt aus. Die
wenigen grofsen gefchichtlichen Darftellungen, welche wir zu verzeichnen haben
werden, fcheinen faft nur wegen der in die Handlung verflochtenen Perfönlich-
keiten zufammengefügt zu fein. Auch fie machen in der Regel beim erften
Anblick mehr den Eindruck gröfserer Bildnifsgruppen, als hiflorifcher Compo-
fitionen; der realiftifche Sinn der Spanier behält eben auch hier, wie überall,
wo die Religion nicht ins Spiel kommt, die Oberhand; und die Religion genügt
der fpanifchen Kunft, um allen feelifchen Empfindungen, allen Regungen des
Herzens, des Gemüthes und der poetifchen Phantafie ihr Stoffgebiet anzuweifen.
Gerade die Begrenztheit ihres Stoffgebietes aber liefs die fpanifche Malerei
ihre beiden Hauptfächer nur um fo intenfiver, energifcher, ihrem Wefen ange-
meffener durchbilden; und da ihre gröfsten Vertreter zugleich zu den gewaltigften
Technikern im Sinne einer den natürlichen Gefetzen der Flächendarftellung mit
Pinfein und Oelfarben am meiften entfprechenden und daher fchlechthin male
rifchen Behandlung gehörten, fo kann es uns nicht wundern, dafs uns fowohl
innerhalb der religiöfen fpanifchen Malerei des 17. Jahrhunderts, als auch inner-
halb der Bildnifsmalerei mit ihren Ausläufern in’s Genre und in die Hiftorie
Meifter und Werke entgegentreten, die in ihrer ausgeprägten Eigenart überall
Liebhaber finden und finden werden, welche fie allen anderen vorziehen.
A. Die Schule von Sevilla bis auf Murillo.
Bedeutung Die Malerei der fchönen, füdlich blühenden Stadt am Guadalquivir be-
von Sevilla, herrfchte im 17. Jahrhundert die ganze fpanifche Kunft. Aus der Schule von
Sevilla, in welcher fchon im vorigen Zeiträume ein Meifter wie Roelas (oben
S. 53 — 56), den Uebergang in den freien Stil der Neuzeit mit grofser Ent-
fchiedenheit in fich felber durchmachte, ein Meifler wie Pacheco *) aber die
Theorie der fpanifchen Malerei zufammenfafste, gingen jetzt die immerhin doch
nur wenigen Maler der Halbinfel hervor, welche die Nachwelt in einem Athem-
zuge mit den gröfsten Künftlern der Erde nennt. Ihr gehörten Zurbaran und
Cano, ihr gehörten Velazquez und Murillo an. Velazquez trug die fevillanifche
Malerei nach Madrid und wurde in der Folge der mafsgebende Meifler in der
1) Oben S. 56. Vgl. jedoch die Anmerkung 1) auf S. 239.
Sechstes Buch. Zweiter Abfchnitt.
Beliebtheit
der
fpanifchen
Malerei des
17. Jahr-
hunderts.
Genre- gemalt worden. Auch die Bildnifsmaler aber fanden den Uebergang zur Genre-
malerei, indem fie hier, wie in Holland, von Zeit zu Zeit das Bedürfnifs fühlten,
anftatt der vornehmen Herrfchaften, welche ihnen jede Sitzung bezahlten,
umgekehrt einmal Männer, Frauen und Kinder aus dem Volke zu malen, denen
fie die Sitzung bezahlten. Wo das Porträtftück aufhört und das Genrebild
anfängt, ift bei diefem Verhältnifs nicht immer leicht zu fagen. Der Zufammen-
hang der fpanifchen Genre- mit der Bildnifsmalerei verräth fich aber auch darin,
dafs jene nur feiten beflimmte, ausgeprägte Handlungen darftellt und noch
feltener unter die Lebensgröfse herabfinkt. Es find in der Regel mehr Studien
nach Volkstypen, als Genrebilder, die mit dem Bewufstfein der befonderen
Gefetze diefer Gattung gemalt wären. Studien diefer Art aber erhielten den
fpanifchen Malern jenen frifchen und lebendigen Naturalismus, der fie auszeichnete.
Malere?.'-^uc^ den Uebergang zum Gefchichtsbild fanden fie vom Porträt aus. Die
wenigen grofsen gefchichtlichen Darftellungen, welche wir zu verzeichnen haben
werden, fcheinen faft nur wegen der in die Handlung verflochtenen Perfönlich-
keiten zufammengefügt zu fein. Auch fie machen in der Regel beim erften
Anblick mehr den Eindruck gröfserer Bildnifsgruppen, als hiflorifcher Compo-
fitionen; der realiftifche Sinn der Spanier behält eben auch hier, wie überall,
wo die Religion nicht ins Spiel kommt, die Oberhand; und die Religion genügt
der fpanifchen Kunft, um allen feelifchen Empfindungen, allen Regungen des
Herzens, des Gemüthes und der poetifchen Phantafie ihr Stoffgebiet anzuweifen.
Gerade die Begrenztheit ihres Stoffgebietes aber liefs die fpanifche Malerei
ihre beiden Hauptfächer nur um fo intenfiver, energifcher, ihrem Wefen ange-
meffener durchbilden; und da ihre gröfsten Vertreter zugleich zu den gewaltigften
Technikern im Sinne einer den natürlichen Gefetzen der Flächendarftellung mit
Pinfein und Oelfarben am meiften entfprechenden und daher fchlechthin male
rifchen Behandlung gehörten, fo kann es uns nicht wundern, dafs uns fowohl
innerhalb der religiöfen fpanifchen Malerei des 17. Jahrhunderts, als auch inner-
halb der Bildnifsmalerei mit ihren Ausläufern in’s Genre und in die Hiftorie
Meifter und Werke entgegentreten, die in ihrer ausgeprägten Eigenart überall
Liebhaber finden und finden werden, welche fie allen anderen vorziehen.
A. Die Schule von Sevilla bis auf Murillo.
Bedeutung Die Malerei der fchönen, füdlich blühenden Stadt am Guadalquivir be-
von Sevilla, herrfchte im 17. Jahrhundert die ganze fpanifche Kunft. Aus der Schule von
Sevilla, in welcher fchon im vorigen Zeiträume ein Meifter wie Roelas (oben
S. 53 — 56), den Uebergang in den freien Stil der Neuzeit mit grofser Ent-
fchiedenheit in fich felber durchmachte, ein Meifler wie Pacheco *) aber die
Theorie der fpanifchen Malerei zufammenfafste, gingen jetzt die immerhin doch
nur wenigen Maler der Halbinfel hervor, welche die Nachwelt in einem Athem-
zuge mit den gröfsten Künftlern der Erde nennt. Ihr gehörten Zurbaran und
Cano, ihr gehörten Velazquez und Murillo an. Velazquez trug die fevillanifche
Malerei nach Madrid und wurde in der Folge der mafsgebende Meifler in der
1) Oben S. 56. Vgl. jedoch die Anmerkung 1) auf S. 239.