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Woermann, Karl; Woltmann, Alfred [Hrsg.]; Woermann, Karl [Hrsg.]
Geschichte der Malerei (Band 3,1) — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.48521#0256
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Sechstes Buch. Zweiter Abfchnitt.

übrigens einer der felbfiändigften, charakteriftifchften und grofsartigfien fpanifchen
ein Leben. Maler des 17. Jahrhunderts. Geboren war er 1598 in Fuente de Cantos,
einem kleinen Orte an der andalufifchen Grenze Efiremadura’s; in der Schule
des Roelas aber lernte er fich bald als Sevillaner fühlen; und in Sevilla hat er
weitaus die meiften feiner Werke gemalt, wenn er auch, wie aus der Infchrift
eines feiner Bilder hervorgeht, fchon 1633 Hofmaler König Philipps IV. war
und 1650 ganz nach Madrid überfiedelte, wo er nach Palomino 1662 fiarb,
nach einer anderen Nachricht aber in eben diefem Jahre noch am Leben war ').
Sein Stil. Dafs er fich nach Caravaggio (oben S. 171) oder nach Ribera (oben S. 181J wie
andere annehmen, gebildet habe, ift unerwiefen und unwahrfcheinlich. Der
kräftige Naturalismus und die fcharfe Ausbildung des Helldunkels entfpringen
bei ihm fo gut, wie bei jenen, aus einer felbftändigen, eigenthümlichen An-
fchauung der Welt der Erfcheinungen. Gerade der fpanifchen Empfindungsweife
entfprach diefe Anfchauung; und gerade Zurbaran gehört zu den fpanifchften
aller fpanifchen Künftler. Jene feinen Landsleuten eigenthümliche Verbindung
des rückfichtslofeften Realismus in der körperlichen mit dem fchwärmerifchften
Idealismus in der geiftigen Anfchauung tritt uns kaum bei einem anderen
Meiller fo packend, aber auch fo unvermittelt und herbe entgegen, wie bei
ihm. Der Geift, den er darftellt, ift eben der herbe Geift mönchifcher
Askefe und fanatifcher Andacht. Zurbaran ift der Monchsmaler fchlechthin.
Die Mönche, an denen Sevilla fo reich ift, waren feine Freunde; der malerifche
Gegenfatz ihrer energifchen, von der Entfagung gefchärften, durch glühende,
von innerlicher Leidenfchaft verzehrte Augen belebten Züge zu dem ruhigen
Faltenflufs ihrer Kutten zog ihn an. Unzählige Male hat er einzelne Mönchs-
geftalten gemalt; aber auch feine hiftorifchen Compofitionen hellen ihrer Mehr-
zahl nach Scenen aus der Lebensgefchichte heiliger Klofierbrüder dar. Die
Verzückung, mit welcher fie zu den Vifionen, die ihnen zu theil werden, empor-
fchauen, hat niemand überzeugender wiedergegeben, als Zurbaran. Darin liegt
fein Idealismus. Zugleich aber hat niemand ihre äufseren Züge lebendiger dem
Leben abgelaufcht — er malte nie ohne Modell —, hat niemand ihre Kutten,
befonders die weifsen, ftrenger nach der Natur gemalt und gezeichnet — er
zeichnete nie ein Gewand, ohne es der Gliedergruppe umzuthun — als er; und
darin liegt fein Realismus. Herb und hart ift er aber auch zuweilen in diefem
Realismus. Um Kraft ift es ihm mehr zu thun, als um Schönheit. Die
Anmuth der weiblichen Heiligen und die Holdfeligkeit der Engel gelingen ihm
feiten. Dabei weifs er den architektonifchen Raum mit vortrefflicher Linien-
und Luftperfpective auszufiatten und den Lichtfall wahr und energifch zu
markiren. Seine Farbengebung ift einfach und trotz geiftvoller Maffenver
werthung einzelner Localfarben von einem ruhigen Gefammtton zufammengehalten.
Sein malerifcher Vortrag war in feiner früheren Zeit bei aller Breite ver-
hältnifsmäfsig glatt und verfchmolzen, demjenigen des Caravaggio ähnlich, in
feiner fpäteren Zeit paftofer und kecker, demjenigen der Ribera verwandter.
Nie aber verleugnet Zurbaran fich felbfi. Er ift alles in allem genommen einer

1) Hierin liegt kein Widerfpruch, wie man gemeint hat. Jedenfalls weift nichts darauf hin, dals
Zurbaran noch nach 1662 gelebt habe.
 
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