Die fpanifche Malerei des 17. Jahrhunderts. D. Murillo. 281
Mädchen dargeftellt, in deren hübfchen Zügen fich göttliche Bedürfnifslofigkeit
und engelgleiche Unfchuld wiederfpiegeln; und andererfeits lieht man in jenen
überirdifchften Myfterien als Trägerin der heiligften Empfindungen doch immer
noch das hübfche andalufifche Weib mit ihren eigenartig individuellen Zügen
und mit ihrer trotz aller Verhüllung finnlichen Schönheit zum Vorfchein
kommen. Die freie und vielfeitig bewegte künftlerifche Phantafie, die fich in
allen diefen Werken ausfpricht, hat Murillo unzweifelhaft vor Velazquez voraus;
und wenn Velazquez dafür ebenfo unzweifelhaft die forgfältigere, in der
fchlichten Naturnachahmung gediegenere Technik und die ruhigere Gleichmäfsig-
keit der Durchbildung aller feiner Werke vor Murillo voraus hat, fo wäre doch
nichts verkehrter, als diefem letzteren deshalb überhaupt keine technifche
Meiflerfchaft zugeftehen zu wollen. Auch Murillo ift in feiner Art ein aufser-
ordentlicher, ja auf dem Gebiete der Darftellung des vifionären Helldunkels
und des in die Erdendämmerung hereinbrechenden Himmelslichtes unerreichter
Techniker. Wenn er fich in der Formengebung auch hier und da gehen läfst
und manchmal, zur Maffenproduction verführt, nicht im Stande ift, alle Be-
ftellungen mit gleicher Liebe und Sorgfalt auszuführen, fo zeigen feine beften
Werke doch deutlich, dafs er über alle Darftellungsmittel mit Leichtigkeit ver-
fügt, vor allen Dingen ein Colorift ift, wie es ihrer nur wenige auf der Erde
gegeben hat, ein Colorift, der durch die tiefe, harmonifche Einheitlichkeit feiner
ftets vom feinften Helldunkel beherrfchten, in den weichften Uebergängen
fchwelgenden Farbenftimmungen auch Ungleichheiten in der Compofition und
Schwächen in der Zeichnung auszugleichen verlieht. Man hat früher drei Stil- stiifpöchen.
arten des Meifters unterfchieden, den estilo frio, calido und vaporoso, d. h. den
kalten, den warmen und den duftigen Stil; und man hat fich fpäter grofse
Mühe gegeben, nachzuweifen, dafs diefe Stilfolgen fich wenigftens in chrono-
logifcher Entwickelung an den Werken Murillos nicht nachweifen liefsen, fondern
vom Meifter zu allen Zeiten auf den entfprechenden Stoffgebieten angewandt
worden feien; ja man ift fchliefslich fo weit gegangen, jede Stilentwickelung
bei Murillo zu leugnen1 2). Auf die Worte »frio, calido, vaporoso« kommt es
freilich nicht an; und dafs nur bei wenigen Meiftern der Stilwechfel plötzlich
eintritt und fich an gewiffe Daten knüpfen läfst, ift fchon wiederholt bemerkt
worden. Aber die Entwickelung von einem fchweren, trockenen Jugendftil'-)
zu einem vollen, warmen, bei aller malerifchen Breite noch plaftifch modellirenden
Stil feiner mittleren Jahre und zu der immer leichter, freier, kühler und duftiger
werdenden Vortragsweife feiner fpäteren Zeit, läfst fich bei Murillo fo gut
nachempfinden, wie bei Velazquez und bei vielen niederländifchen Meiftern des
fiebzehnten Jahrhunderts; diefe Entwickelung lag überhaupt in der Zeit, und
mehr als diefe Thatfache läfst fich aus jener alten Eintheilung auch nicht folgern.
Die Sevillaner konnten fie nur an keinem Meifter fo deutlich verfolgen, wie an
ihrem Murillo. Dafs übrigens der leichte, duftige Vortrag zuerft für die Dar-
ftellung der luftigen Himmelsglorien angewandt und hauptfächlich für Dar-
ftellungen diefer Art ausgebildet worden, liegt in der Natur der Sache. Die
meiften derartigen Gemälde Murillos gehören aber auch feiner fpäteren Zeit
1) P. Lefort, a. a. O. XI, p. 44: «Au fond Murillo n’a qu’un style.»
2) Bermudez a. a. O. p. 48 nennt ihn auch «seco» ftatt «frio».
Mädchen dargeftellt, in deren hübfchen Zügen fich göttliche Bedürfnifslofigkeit
und engelgleiche Unfchuld wiederfpiegeln; und andererfeits lieht man in jenen
überirdifchften Myfterien als Trägerin der heiligften Empfindungen doch immer
noch das hübfche andalufifche Weib mit ihren eigenartig individuellen Zügen
und mit ihrer trotz aller Verhüllung finnlichen Schönheit zum Vorfchein
kommen. Die freie und vielfeitig bewegte künftlerifche Phantafie, die fich in
allen diefen Werken ausfpricht, hat Murillo unzweifelhaft vor Velazquez voraus;
und wenn Velazquez dafür ebenfo unzweifelhaft die forgfältigere, in der
fchlichten Naturnachahmung gediegenere Technik und die ruhigere Gleichmäfsig-
keit der Durchbildung aller feiner Werke vor Murillo voraus hat, fo wäre doch
nichts verkehrter, als diefem letzteren deshalb überhaupt keine technifche
Meiflerfchaft zugeftehen zu wollen. Auch Murillo ift in feiner Art ein aufser-
ordentlicher, ja auf dem Gebiete der Darftellung des vifionären Helldunkels
und des in die Erdendämmerung hereinbrechenden Himmelslichtes unerreichter
Techniker. Wenn er fich in der Formengebung auch hier und da gehen läfst
und manchmal, zur Maffenproduction verführt, nicht im Stande ift, alle Be-
ftellungen mit gleicher Liebe und Sorgfalt auszuführen, fo zeigen feine beften
Werke doch deutlich, dafs er über alle Darftellungsmittel mit Leichtigkeit ver-
fügt, vor allen Dingen ein Colorift ift, wie es ihrer nur wenige auf der Erde
gegeben hat, ein Colorift, der durch die tiefe, harmonifche Einheitlichkeit feiner
ftets vom feinften Helldunkel beherrfchten, in den weichften Uebergängen
fchwelgenden Farbenftimmungen auch Ungleichheiten in der Compofition und
Schwächen in der Zeichnung auszugleichen verlieht. Man hat früher drei Stil- stiifpöchen.
arten des Meifters unterfchieden, den estilo frio, calido und vaporoso, d. h. den
kalten, den warmen und den duftigen Stil; und man hat fich fpäter grofse
Mühe gegeben, nachzuweifen, dafs diefe Stilfolgen fich wenigftens in chrono-
logifcher Entwickelung an den Werken Murillos nicht nachweifen liefsen, fondern
vom Meifter zu allen Zeiten auf den entfprechenden Stoffgebieten angewandt
worden feien; ja man ift fchliefslich fo weit gegangen, jede Stilentwickelung
bei Murillo zu leugnen1 2). Auf die Worte »frio, calido, vaporoso« kommt es
freilich nicht an; und dafs nur bei wenigen Meiftern der Stilwechfel plötzlich
eintritt und fich an gewiffe Daten knüpfen läfst, ift fchon wiederholt bemerkt
worden. Aber die Entwickelung von einem fchweren, trockenen Jugendftil'-)
zu einem vollen, warmen, bei aller malerifchen Breite noch plaftifch modellirenden
Stil feiner mittleren Jahre und zu der immer leichter, freier, kühler und duftiger
werdenden Vortragsweife feiner fpäteren Zeit, läfst fich bei Murillo fo gut
nachempfinden, wie bei Velazquez und bei vielen niederländifchen Meiftern des
fiebzehnten Jahrhunderts; diefe Entwickelung lag überhaupt in der Zeit, und
mehr als diefe Thatfache läfst fich aus jener alten Eintheilung auch nicht folgern.
Die Sevillaner konnten fie nur an keinem Meifter fo deutlich verfolgen, wie an
ihrem Murillo. Dafs übrigens der leichte, duftige Vortrag zuerft für die Dar-
ftellung der luftigen Himmelsglorien angewandt und hauptfächlich für Dar-
ftellungen diefer Art ausgebildet worden, liegt in der Natur der Sache. Die
meiften derartigen Gemälde Murillos gehören aber auch feiner fpäteren Zeit
1) P. Lefort, a. a. O. XI, p. 44: «Au fond Murillo n’a qu’un style.»
2) Bermudez a. a. O. p. 48 nennt ihn auch «seco» ftatt «frio».