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Woermann, Karl; Woltmann, Alfred [Editor]; Woermann, Karl [Editor]
Geschichte der Malerei (Band 3,2) — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.48522#0026
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Sechstes Buch. II. Abtheilung. Zweiter Abfchnitt.

unmittelbare Nähe des Waffers erfüllt ihn mit feuchten Beftandtheilen, welche
die Macht der Lichtftrahlen brechen und der Luft oft felbft bei gutem Wetter
das Anfehen eines duftigen, die Localfarben in Ton auflöfenden Schleiers geben ')•
Tonmalerei. In folchem »Tone« fahen die holländifchen Künftler ihre Natur, und in folchem
»Tone« malten fie fie daher auch. Nicht, dafs fie reine Localfarben unter
reiner Luft nicht darzuftellen verftanden hätten. Gelegentlich gehaftet felbft der
holländifche Himmel dem Künftler, Studien in diefer Richtung zu machen; und
es haben fich immer holländifche Künftler gefunden, welche folche Gelegenheiten
zu ergreifen verftanden. In der Regel aber beherrfcht in der holländifchen
Malerei der Ton doch die Localfarbe; und der Ton der holländifchen Gemälde
Das Heil- wjrc] wieder ebenfo oft von einem ausgebildeten Helldunkel getragen, wie es
dem holländifchen Künftler geftattet war, ein folches der Wirklichkeit abzufehen;
und das war in Holland öfter der Fall, als vielleicht in irgend einem anderen
Lande des europäifchen Feftlandes. Unter freiem Himmel erzeugt fchon der
Kampf des vollen Sonnenfcheines gegen den Nebelflor der gefchilderten Art
ein eigenartiges Helldunkel, in dem manchmal eine tiefe Goldgluth, manchmal
ein kühles Grau den Ton angiebt, wird das Helldunkel über der Landfchaft
oder dem Meere aber noch öfter durch die Wolken erzeugt, welche den
Himmel theilweife bedecken und grofse, mit hellen Lichtftellen wechfelnde
Schatten auf Land und Waffer hinab werfen; und diefe Helldunkelwirkungen
fpiegeln fich natürlich befonders in den holländifchen Bildern wieder, die unter
freiem Himmel fpielen. Aber auch ihre gefchloffenen Räume hüllten die Hol-
länder fchon in Wirklichkeit, da fie tiefe Zimmer bevorzugten und das vorn
grell einfallende Licht theilweife durch Vorhänge dämpften, in ein fo aus-
geprägtes Helldunkel, wie kaum ein anderes Volk; und die Folge davon war,
dafs die holländifchen Künftler als feine Beobachter ihren in gefchloffenen
Räumen fpielenden Sittenbildern den Reiz eines fo echten und fo feinen Hell-
dunkels, wie es nie und nirgends dargeflellt worden war, zu verleihen wufsten.
Ja, da die lebensgrofsen Bildniffe oft genug in folchen Zimmern gemalt werden
mufsten, felbft wenn der Meifter ihnen nur einen einfarbigen Grund gab, fo
erklärt es fich, dafs gerade manche Bildniffe — befonders diejenigen Rem-
brandts — ohne fichtbaren Anlafs fich mit dem geheimnifsvollen Schleier des
Helldunkels fchmücken. Der gröfsere Theil aller diefer Lichtwirkungen, an denen
die holländifche Malerei fo reich ift, beruht eben auf treuer Naturbeobachtung,
reaiiftffche gehörte aber auch die entwickelte malerifche Technik, man möchte
Maiweife, fagen die realiftifch ausgebildete Malweife der Holländer dazu, um diefer Richtung
volle Geltung zu verfchaffen. Was unter einer folchen realiftifch malerifchen
Technik zu verliehen, leuchtet fofort ein, wenn man die mittelalterlichen Gemälde
der romanifchen Zeit mit ihren dick gezogenen fchwarzen Umrifslinien, innerhalb
deren die wirklichen oder ftilifirten Localfarben fchlicht und ohne befondere
Modellirung aufgetragen find, den holländifchen Gemälden des 17. Jahrhunderts
mit ihren weich, faft unmerklich von einander fich abhebenden Umriffen, ihrer
feinen Modellirung, ihren zarten Uebergängen gegenüberflellt. Einer realiflifchen
Pinfelführung rriufs es eben, wie fchon wiederholt bemerkt worden, gelingen, alle

1) Vgl. des Verfaffers »Kunft- und Naturfkizzen« I, S. 36.
 
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