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Il8 PSYCHOLOGIE DER MYSTIK
Renaissance bringt den grossen Gesundungsprozess, den
grossen Verbürgerlichungsprozess des Empfindens, der mit
allen mittelalterlichen Anormalitäten aufräumt und an die
Stelle der Macht des Uebernatürlichen die Schönheit des
Natürlichen setzt.

PSYCHOLOGIE DER MYSTIK
"VA Tie Mystik und Scholastik in der gotischen Kathedrale
* v untrennbar verbünden sind, wie sie hier unmittelbar
auseinander herauswachsen, so sind sie auch in der Wirklich-
keit des geschichtlichen Lebens ganz eng miteinander ver-
bunden und verwachsen. Was sie vereint, was sie zu Phä-
nomenen gleicher Qualität macht, das ist ihr transzendentaler
Charakter. Was sie voneinander scheidet, das ist die Ver-
schiedenheit ihrer Ausdrucksmittel, die natürlich nicht will-
kürlich ist, sondern ihre inneren Gründe hat, die von wich-
tigen Aenderungen im Empfindungsleben der nordischen
Menschheit bedingt sind und uns darum in diesem Zusammen-
hang beschäftigen müssen.
Wie wir den Innenraum gotischer Dome als ein vom Sinn-
lichen ausgehendes übersinnliches Erlebnis empfinden, das
seiner ganzen Natur nach im Gegensatz steht zu der abstrakten
Ausdruckswelt der gotischen Aussenarchitektur und den
Mitteln, mit denen sie auf uns einwirkt, so empfinden wir
auch den Unterschied der Mystik von der Scholastik als
bedingt durch die sinnlichere Färbung der Mystik gegenüber
der abstrakten unsinnlichen Natur der Scholastik. Statt der
intellektuellen Exaltation, in der das religiöse Empfinden der
Scholastik seine Heilsgewissheit sucht, sehen wir mit der
Mystik die Verzückung des Gefühls massgebend werden für
das religiöse Erlebnis. Die geistige Verzückung wird zu einer
seelischen Verzückung. Das seelische Erlebnis aber ist gleich
dem räumlichen Erlebnis etwas von allem Geistigen und
Abstrakten Geschiedenes, etwas, das unmittelbar von unseren
Sinnen gespeist wird. Denn was wir seelisch nennen, das ist
nur die Steigerung und Verfeinerung des sinnlichen Emp-
 
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