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Wulff, Oskar
Altchristliche und byzantinische Kunst (Band 1): Die altchristliche Kunst von ihren Anfängen bis zur Mitte des ersten Jahrtausends — Berlin-Neubabelsberg, 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.25054#0025
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BEDEUTUNG KLEINASIENS UND ANTIOCHIAS

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entstehenden Schrifttum zuschiebt. Den freien spekulativen Gedankenaufschwung hemmte
freilich dessen aus dem naiveren Gefühlserlebnis eines mystischen Kults, aus einer strafferen
Theologie und asketischer Frömmigkeit quellende Religiosität und der Widerhall, den diese
Gesinnung bei der einheimischen koptischen Bevölkerung des Niltals weckte. Die alexan-
drinische Kirche hielt solchen Einflüssen nicht stand und hat schon im Anfang des 5. Jahr-
hunderts ihren Eifer gegen die Philosophie durch manche fanatische Tat bewiesen. Die Dog-
matik der Alexandriner arbeitet von Athanasius (f 373) bis Cyrill (f 444) an der Erhöhung der
göttlichen Personen und begründet sowohl die Lehre von der Wesensgleichheit des Sohnes,
wie auch im Bunde mit den syrischen Kirchenlehrern den Monophysitismus, d. h. das Dogma
von der alleinigen göttlichen Natur in Christus. Mit der schnell fortschreitenden Bekehrung
der Kopten zum Christentum wurde vollends durch den orientalischen Geist das national-
ägyptische religiöse Empfinden wiedererweckt. In Oberägypten erstehen ihm in den großen
Asketen und Klostergründern seine vom tiefsten Haß gegen alles Griechische beseelten geistigen
Führer, so der gewaltigste, Schenute von Athripe. Und dennoch bewahren selbst diese Land-
striche bedeutsame Zeugnisse der Malerei von einer den syrischen Typen vorausgegangenen
christlichen Volkskunst alexandrinischen Ursprungs.

Daß die frühchristlichen Typen der Alexandrinischen Kunst alsbald von Gemeinde zur
Gemeinde durch das ganze Reich Verbreitung fanden, — sie tauchen seit dem 2. Jahrhundert
in Rom und Neapel, seit dem 3. Jahrhundert in Cyrene und anderwärts auf —, bedarf keiner
weiteren Erklärung. Bildete doch das Christentum bis zu seiner Anerkennung einen Staat
im Staate mit lebhaftem geistigen Verkehr. Und wie diese Anregungen in Rom Nachahmung
fanden und eine örtliche Kunstübung hervorriefen, so begannen zweifellos auch andere christ-
liche Länder mitzuarbeiten und die Motive selbständig fortzubilden. Einen so engen Bund
wie in Alexandria hatte der Hellenismus vor allem auch in dem früh bekehrten Kleinasien
mit dem Christentum geschlossen. In seinen Städten lebten die Erinnerungen an die aposto-
lische Missionstätigkeit fort. Ihre Nachwirkung ist in der Kunst wie in der Literatur in
einem früh hervortretenden lehrhaften Zug zu spüren. In Kleinasien hat wahrscheinlich der
neutestamentliche Kanon seine erste Redaktion gefunden, hier nahm die Entstehung der Apostel-
akten ihren Anfang. Als Vorort der kleinasiatischen christlichen Geisteskultur aber gewann
das benachbarte Antiochia die größte Bedeutung, das seinen Anspruch auf die kirchliche
Führerschaft Kleinasiens erfolgreich mit der Tradition von dem Episkopat des Petrus zu
begründen wußte. Auch die Kunst hat dem Ausgleich, durch den die anfänglichen Gegen-
sätze zwischen der Großstadt am Orontes und den kleinasiatischen Gemeinden zugunsten der
judenchristlichen antiochischen Richtung beendet worden waren, sowie der Vorstellung von der
apostolischen Gesamtkirche und der Mittlerschaft der Hauptapostel sinnbildlichen Ausdruck
gegeben.

Antiochia fiel von jeher die Vermittlerrolle zwischen dem griechischen und dem semiti-
schen Christentum zu, das sich im syrischen Hinterlande mit erstaunlicher Kraft und Eigenart
entfaltete. Die jüdische Mission hatte ihm bis in das obere Mesopotamien hinauf vorge-
arbeitet, wo sich schon zu Anfang des 3. Jahrhunderts das Reich von Osroene mit der Haupt-
stadt Edessa zum Christentum bekannte. In Syrien erhielt der Kult seine phantasievolle
Ausgestaltung und seine feste Regel in den sogenannten apostolischen Konstitutionen und
ähnlichen Kirchenordnungen. Die jüdische Apokalyptik mit ihrer mythologischen Bildersprache
entflammte die Phantasie des stammverwandten Syrertums zur höchsten Glut. Aber sie beein-
flußte auch die griechischen Kirchenlehrer aus Kleinasien, wie schon die Schriften eines
 
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