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BESPRECHUNGEN.
schlage des Kulturempfindens einzufangen weiß. Das grobe Netz kunsthistorischer
Registrierung dagegen läßt alle sublimen Nuancen entschlüpfen, und was übrig
bleibt, sind Namen und Katalogkommentare. Die ganze kulturelle Atmosphäre müßte
lebendig werden, um diesen verblaßten Andenken ihr zerbrechliches, zärtlichkeits-
erfülltes Leben wiederzugeben. Namen und Persönlichkeiten tun hier nichts. Immer
ist es nur die Kultur, die diese Dinge schafft.
Mit diesen Voraussetzungen muß eine geschichtliche Darstellung des Miniatur-
porträts rechnen. Man kann ihr nur gerecht werden, wenn man auf jene höchsten
Ansprüche, die das Wort Miniaturporträt auslöst, verzichtet und nichts anderes er-
wartet als eine äußerliche Orientierung. Als solche Orientierung ist die fleißige
und geschmackvolle Arbeit, die Alexandrine Kende-Ehrenstein in hübscher Ausstat-
tung als ersten Band einer neuen Monographienserie »Sammlerkompendien« er-
scheinen läßt, sehr brauchbar und empfehlenswert. Mit feinfühligem Verständnis
und ausdrucksfähiger Sprache gibt die Verfasserin einen kurzen Abriß aus der
Lebensgeschichte dieser Lieblingskunst des Dix-huitieme, die in England durch
Cosway, in Frankreich durch Isabey und in Österreich durch Füger ihre klassische
Stilausprägung erhielt. Mit dem Absterben aristokratischer Überkultur verlor auch
das Miniaturporträt an Boden, bis schließlich in der »seelenlosen Erfindung Daguer-
res«, der Photographie, der Rationalismus des neuen bürgerlichen Zeitalters einen
entsprechenden Ersatz fand. Da wanderte das Miniaturporträt endgültig in die ver-
schwiegenen Kästen der Sammler.
München. Wilhelm Worringer.
Berthold Haendcke, Kunstanalysen aus neunzehn Jahrhunderten. Ver-
lag von George Westermann in Braunschweig, 1908; 4°. VIII u. 274 S.
Endlich ein Werk, das man freudigen Herzens loben kann! Der Königsberger
Kunsthistoriker hat uns hier ein Handbuch für die Betrachtung von Kunstwerken
geschenkt, das elementare Einführungsdienste trefflich zu leisten vermag. Der Ver-
fasser geht nicht darauf aus, möglichst viele historische Kenntnisse zu vermitteln,
woran die meisten der anderen »Einführungen« kranken, sondern greift mitten
hinein in das Leben der Kunst und sucht dieses dem Leser zu intensiverem Genuß
zu bringen. Die Methode, die er dabei verfolgt, ist zu billigen: er bespricht ledig'
lieh Künstler, welche entweder an sich von höchster Bedeutung sind oder von
großem entwickelungsgeschichtlichem Wert. Aber auch da ist es ihm nicht urn
eine Aufzählung der »Hauptwerke« zu tun, sondern er zeigt an ganz wenigen
charakteristischen Beispielen die Eigenart des Meisters. Einen besonderen Vorzug
bietet die Tatsache, daß die meisten erörterten Werke in guten — zum Teil
ganz-, ja auch doppelseitigen — Reproduktionen der Arbeit beigegeben sind. An-
genehm fiel mir auch auf, daß der Verfasser auf die Farbengebung — ein von
vielen Kunsthistorikern recht vernachlässigtes Kapitel! — großen Wert legt.
Gegenüber dieser stattlichen Reihe von Vorzügen scheue ich mich fast, einige
Bedenken auszusprechen. Aber sie mögen nicht als kleinliche Nörgelei gedeutet
werden, sondern als Bestreben, vielleicht eine Anregung für eine zweite Auflage
dieses Werkes zu bieten, die hoffentlich nicht lange auf sich warten lassen wird-
So fiel es mir auf, daß van Dyck und Teniers gar nicht behandelt sind! Ferner
spricht der Verfasser von der Darmstädter Madonna Holbeins, und in der ReprO'
duktion findet sich die durchaus nicht einwandfreie Dresdener Kopie (vgl. zu dieser
Frage die Ausführungen in Karl Volls: »Vergleichende Gemäldestudien«, München 1907,
S. 21—29). Auch scheint mir die moderne Architektur — im Verhältnis zum übrigen —
BESPRECHUNGEN.
schlage des Kulturempfindens einzufangen weiß. Das grobe Netz kunsthistorischer
Registrierung dagegen läßt alle sublimen Nuancen entschlüpfen, und was übrig
bleibt, sind Namen und Katalogkommentare. Die ganze kulturelle Atmosphäre müßte
lebendig werden, um diesen verblaßten Andenken ihr zerbrechliches, zärtlichkeits-
erfülltes Leben wiederzugeben. Namen und Persönlichkeiten tun hier nichts. Immer
ist es nur die Kultur, die diese Dinge schafft.
Mit diesen Voraussetzungen muß eine geschichtliche Darstellung des Miniatur-
porträts rechnen. Man kann ihr nur gerecht werden, wenn man auf jene höchsten
Ansprüche, die das Wort Miniaturporträt auslöst, verzichtet und nichts anderes er-
wartet als eine äußerliche Orientierung. Als solche Orientierung ist die fleißige
und geschmackvolle Arbeit, die Alexandrine Kende-Ehrenstein in hübscher Ausstat-
tung als ersten Band einer neuen Monographienserie »Sammlerkompendien« er-
scheinen läßt, sehr brauchbar und empfehlenswert. Mit feinfühligem Verständnis
und ausdrucksfähiger Sprache gibt die Verfasserin einen kurzen Abriß aus der
Lebensgeschichte dieser Lieblingskunst des Dix-huitieme, die in England durch
Cosway, in Frankreich durch Isabey und in Österreich durch Füger ihre klassische
Stilausprägung erhielt. Mit dem Absterben aristokratischer Überkultur verlor auch
das Miniaturporträt an Boden, bis schließlich in der »seelenlosen Erfindung Daguer-
res«, der Photographie, der Rationalismus des neuen bürgerlichen Zeitalters einen
entsprechenden Ersatz fand. Da wanderte das Miniaturporträt endgültig in die ver-
schwiegenen Kästen der Sammler.
München. Wilhelm Worringer.
Berthold Haendcke, Kunstanalysen aus neunzehn Jahrhunderten. Ver-
lag von George Westermann in Braunschweig, 1908; 4°. VIII u. 274 S.
Endlich ein Werk, das man freudigen Herzens loben kann! Der Königsberger
Kunsthistoriker hat uns hier ein Handbuch für die Betrachtung von Kunstwerken
geschenkt, das elementare Einführungsdienste trefflich zu leisten vermag. Der Ver-
fasser geht nicht darauf aus, möglichst viele historische Kenntnisse zu vermitteln,
woran die meisten der anderen »Einführungen« kranken, sondern greift mitten
hinein in das Leben der Kunst und sucht dieses dem Leser zu intensiverem Genuß
zu bringen. Die Methode, die er dabei verfolgt, ist zu billigen: er bespricht ledig'
lieh Künstler, welche entweder an sich von höchster Bedeutung sind oder von
großem entwickelungsgeschichtlichem Wert. Aber auch da ist es ihm nicht urn
eine Aufzählung der »Hauptwerke« zu tun, sondern er zeigt an ganz wenigen
charakteristischen Beispielen die Eigenart des Meisters. Einen besonderen Vorzug
bietet die Tatsache, daß die meisten erörterten Werke in guten — zum Teil
ganz-, ja auch doppelseitigen — Reproduktionen der Arbeit beigegeben sind. An-
genehm fiel mir auch auf, daß der Verfasser auf die Farbengebung — ein von
vielen Kunsthistorikern recht vernachlässigtes Kapitel! — großen Wert legt.
Gegenüber dieser stattlichen Reihe von Vorzügen scheue ich mich fast, einige
Bedenken auszusprechen. Aber sie mögen nicht als kleinliche Nörgelei gedeutet
werden, sondern als Bestreben, vielleicht eine Anregung für eine zweite Auflage
dieses Werkes zu bieten, die hoffentlich nicht lange auf sich warten lassen wird-
So fiel es mir auf, daß van Dyck und Teniers gar nicht behandelt sind! Ferner
spricht der Verfasser von der Darmstädter Madonna Holbeins, und in der ReprO'
duktion findet sich die durchaus nicht einwandfreie Dresdener Kopie (vgl. zu dieser
Frage die Ausführungen in Karl Volls: »Vergleichende Gemäldestudien«, München 1907,
S. 21—29). Auch scheint mir die moderne Architektur — im Verhältnis zum übrigen —