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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 7.1912

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Mies, Paul: Über die Tonmalerei, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3592#0613
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ÜBER DIE TONMALEREI. 609

tativen eine ausführliche Malerei nicht fehlt, versteht sich von selbst.
Im übrigen läßt sich sagen, daß es Telemann hin und wieder sogar
gelingt, recht treffende und lebendige Situationsmalereien zu schaffen,
wovon z. B. der obenerwähnte Chor »Es rauscht« Zeugnis ablegt.

Telemann vernachlässigte also über der Freude an der Tonmalerei
häufig das Musikalische, ein Fehler, der vielleicht mit zu seinem frühen
und endgültigen Vergessen geführt hat, trotzdem er seinerzeit hoch-
berühmt war, ein Fehler, der sich bei seinen ungleich bedeutenderen
Zeitgenossen J. S. Bach (1685—1750) und G. Fr. Händel (1685—1759)
kaum je findet. In den Rezitativen, besonders bei Bach, erscheint aller-
dings sehr oft das Ausmalen einzelner Worte und Textphrasen; wir
erinnern an die hierhin gehörigen Stellen der Passionen, an das Re-
zitativ »Mein Wandel auf der Welt ist einer Schiffahrt gleich« der
Kantate »Ich will den Kreuzstab gerne tragen« (Nr. 56), in welchem
das Wellenmotiv verschwindet, wenn es heißt: »So tret ich aus dem
Schiff in meine Stadt«. Die Methode, welche Bach in den Arien und
(-■hören mit tonmalerischer Tendenz einschlägt, läßt sich am besten an
einem Beispiel auseinandersetzen. Wir nehmen als solches die Arie
»Schweig aufgetürmtes Meer, verstumme Sturm und Wind« der Kan-
tate »Jesus schläft« (Nr. 81); die auftretenden Läufe, die thematisch
verwandt werden, sollen die Wut des Meeres wiedergeben; der erste
eiI der Arie wird nun durch fortwährende Wiederholung des oben
angegebenen Satzes gebildet; der zweite Teil hat ebenso zum Texte:
»Dir sei dein Ziel gesetzet, damit mein auserwähltes Kind kein Unfall
Je verIetzet«; die im ersten Teile auftretenden tonmalerischen Läufe
werden auch jetzt, wenn auch nicht mehr so stürmisch, beibehalten,
wodurch die Einheit der ganzen Arie gewährleistet wird. Ähnliche Bei-
spiele sind die Arie »Wir zittern und wanken« der Kantate »Herr,
gehe nicht ins Gericht« (Nr. 105), in welcher die Violinen das Zittern
aarstellen, und zwar die ganze Arie hindurch, dann die erste Arie der
Kantate 81, in der gewisse Motive, die recht wohl das Seufzen des
Hoffnungslosen wiedergeben können, fortwährend ertönen. Sehr häufig
unterscheiden sich aber die textlichen Grundlagen der beiden Arien-
teile so sehr voneinander, daß dies Verfahren nicht beibehalten werden
kann; dann erhalten die beiden Teile eine gänzlich verschiedene Musik,
so daß meist nur einer von den beiden Teilen tonmalerisch ist, die Teile
einen musikalischen Zusammenhang nicht mehr haben. So sind ge-
baut die Arie »Seligster Erquickungstag« der Kantate »Wachet, betet«
(Nr. 70), die Arie »Sende deine Macht von oben« der Kantate »Erhalt
uns Herr« (Nr. 126), und die erste Arie der Kantate »Siehe ich will
V1el Fischer aussenden« (Nr. 88). In der letzteren setzt Bach den Text-
phrasen entsprechend eine Barcarole und ein Jagdlied hintereinander;

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