610 PAUL MIES.
um die vollständige musikalische Form zu erhalten, werden die Sätze
des Textes, wie in allen angeführten Stellen, fortwährend wiederholt.
Dasselbe wie von Bach gilt auch von Händeis Oratorien; »Israel in
Ägypten« enthält zur Schilderung der zehn Plagen mehrere Chöre, die
hier zu erwähnen sind; dann sind tonmalerisch der Mittelteil der
Arie »Wer mag den Tag seiner Zukunft erleiden« und die Arie
»Warum entbrennen die Heiden« aus dem Messias. Von der be-
sprochenen Tonmalerei der allerdings zeitlich späteren Reformopern
Glucks unterscheidet sich die Tonmalerei Bachs und Händeis dadurch,
daß sie bei Gluck als Untergrund eines längeren, selten wiederholten
Textes dienen muß, die Musik tritt also an Bedeutung hinter das Wort
zurück, während bei den beiden anderen Meistern der Text Anlaß zu
tonmalerischen Themen gibt, diese aber dann nach rein musikalischen
Gesichtspunkten unter fortwährender Textwiederholung durchgeführt
und verarbeitet werden.
Fast zu gleicher Zeit mit dem Gluckschen Reformwerk erstand für
die Oper eine andere Gattung, das Melodram, als dessen Schöpfer
j. J. Rousseau gilt. In Deutschland hatten den meisten Erfolg die in
den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts geschriebenen Melodrame
von Georg Benda (1722—95). Text und Musik ertönen nur selten zu-
sammen, sondern die einzelnen Textphrasen werden auf vom Orchester
angehaltene Akkorde gesprochen, und die vorhergehenden und nach-
folgenden Orchesterphrasen suchen dann diese Worte zu illustrieren.
Ist dies auf tonmalerischem Wege möglich, so geschieht es natürlich;
in dem Melodram »Ariadne« finden sich auf solche Weise dargestellt:
die aufsteigende Sonne, der brüllende Löwe, das Brausen des Waldes,
das Heulen des Sturmes usf. Man sieht aus diesem Prinzip leicht
ein, daß eine musikalische Einheit kaum vorhanden sein kann, die
denn auch durch mehrfach wiederkehrende Motive nicht gerettet wird.
Einen großen Einfluß hat jedenfalls die Bendasche Musik auf viele
und bedeutende Komponisten der damaligen Zeit gehabt. So sagt
LandshoffJ) in seiner Biographie Zumsteegs (1760—1802): »Zumsteeg
sucht das Bendasche Prinzip auf ein lyrisches Gedicht zu übertragen.
Das Gedicht erscheint durch eine solche Behandlung zerstückelt. So
wird der Gesang gänzlich zur Nebensache. Die Worte scheinen nur
den Anlaß für eine reichere Ausgestaltung des gänzlich selbständigen
instrumentalen Teils geben zu sollen«. Ossians Sonnengesang und
Morgenfantasie, die sich ebenfalls bei Landshoff finden, bieten eine
große Anzahl von Beispielen. Zumsteeg läßt hier also nicht rezitieren,
sondern er läßt die Worte singen.
') L. z. s. 124 ff.
um die vollständige musikalische Form zu erhalten, werden die Sätze
des Textes, wie in allen angeführten Stellen, fortwährend wiederholt.
Dasselbe wie von Bach gilt auch von Händeis Oratorien; »Israel in
Ägypten« enthält zur Schilderung der zehn Plagen mehrere Chöre, die
hier zu erwähnen sind; dann sind tonmalerisch der Mittelteil der
Arie »Wer mag den Tag seiner Zukunft erleiden« und die Arie
»Warum entbrennen die Heiden« aus dem Messias. Von der be-
sprochenen Tonmalerei der allerdings zeitlich späteren Reformopern
Glucks unterscheidet sich die Tonmalerei Bachs und Händeis dadurch,
daß sie bei Gluck als Untergrund eines längeren, selten wiederholten
Textes dienen muß, die Musik tritt also an Bedeutung hinter das Wort
zurück, während bei den beiden anderen Meistern der Text Anlaß zu
tonmalerischen Themen gibt, diese aber dann nach rein musikalischen
Gesichtspunkten unter fortwährender Textwiederholung durchgeführt
und verarbeitet werden.
Fast zu gleicher Zeit mit dem Gluckschen Reformwerk erstand für
die Oper eine andere Gattung, das Melodram, als dessen Schöpfer
j. J. Rousseau gilt. In Deutschland hatten den meisten Erfolg die in
den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts geschriebenen Melodrame
von Georg Benda (1722—95). Text und Musik ertönen nur selten zu-
sammen, sondern die einzelnen Textphrasen werden auf vom Orchester
angehaltene Akkorde gesprochen, und die vorhergehenden und nach-
folgenden Orchesterphrasen suchen dann diese Worte zu illustrieren.
Ist dies auf tonmalerischem Wege möglich, so geschieht es natürlich;
in dem Melodram »Ariadne« finden sich auf solche Weise dargestellt:
die aufsteigende Sonne, der brüllende Löwe, das Brausen des Waldes,
das Heulen des Sturmes usf. Man sieht aus diesem Prinzip leicht
ein, daß eine musikalische Einheit kaum vorhanden sein kann, die
denn auch durch mehrfach wiederkehrende Motive nicht gerettet wird.
Einen großen Einfluß hat jedenfalls die Bendasche Musik auf viele
und bedeutende Komponisten der damaligen Zeit gehabt. So sagt
LandshoffJ) in seiner Biographie Zumsteegs (1760—1802): »Zumsteeg
sucht das Bendasche Prinzip auf ein lyrisches Gedicht zu übertragen.
Das Gedicht erscheint durch eine solche Behandlung zerstückelt. So
wird der Gesang gänzlich zur Nebensache. Die Worte scheinen nur
den Anlaß für eine reichere Ausgestaltung des gänzlich selbständigen
instrumentalen Teils geben zu sollen«. Ossians Sonnengesang und
Morgenfantasie, die sich ebenfalls bei Landshoff finden, bieten eine
große Anzahl von Beispielen. Zumsteeg läßt hier also nicht rezitieren,
sondern er läßt die Worte singen.
') L. z. s. 124 ff.