36 KAARLE S. LAURILA.
schien es schon als einen ihr gehörenden sicheren Besitz zu haben,
sie brauchte nur noch die Hand danach auszustrecken — und da wird
plötzlich alles auf immer vernichtet. Das ist das Erschütternde und
somit das Tragische dabei.
Man findet dieses Resultat in zahllosen anderen Fällen bestätigt.
Ein Auswanderer der es sich zum Lebensziel gesetzt hat, in fremden
Ländern so viel Geld zu sammeln, daß er einmal das verlorene Eltern-
haus wiedergewinnen und damit auch den teuersten Wunsch seiner
Eltern erfüllen kann und der nun auf der Heimfahrt wenige Meilen
von der Küste einem Sturm zum Opfer fällt, ist meinem Empfinden
nach eine tragische Person, auch wenn er als Mensch das gewöhn-
liche Mittelmaß nicht überragt. Man kann also mit Lipps sagen, daß
die Forderung der Größe beim Tragischen »nicht allzu streng ge-
nommen werden darf« (Grundlegung der Ästh. I, S. 565). Sie muß
tatsächlich so wenig streng genommen werden, daß sie keine unbe-
dingte Forderung mehr ist.
Wie würden wir nun am besten das Wesen des Tragischen kurz
ausdrücken, wenn wir den beiden hier hervorgehobenen Gesichts-
punkten dabei Rechnung tragen wollen? Ich würde folgendermaßen
definieren: Tragisch ist der Untergang eines Menschen, der in unseren
Augen ganz besonders vor dem Untergang hätte geschützt sein sollen
entweder deshalb, weil man von ihm noch besonders viel zu erwarten
hatte oder deshalb, weil er von dem Leben besonders viel zu erwarten
hatte — oder noch aus irgend einem anderen Grunde. — Also kurz:
tragisch ist immer der Untergang eines solchen Menschen, der in
unseren Augen ganz besondere Voraussetzungen hatte, viel zu wirken
oder glücklich zu werden — oder zu beidem. Es ist besonders zu
beachten, daß diese besonderen Voraussetzungen nur in unseren
Augen vorhanden zu sein brauchen, objektiv betrachtet können sie
vielleicht fehlen. Die vom vernichtenden Leid getroffene Person
braucht also nur den Eindruck zu machen, als hätte sie besondere
Voraussetzungen zu bedeutender Wirksamkeit oder zum Glück. Da-
mit ist auch gesagt, daß dieser Eindruck durchaus nicht auf klarer,
begrifflicher Erkenntnis und einer vorangegangenen Untersuchung der
Sachlage zu ruhen braucht, er kann völlig gefühlsmäßiger Art sein
und ist es meistens. Weiter ist zu bemerken, daß in der hier ge-
gebenen Definition nur die Mindestforderungen des Tragischen
angegeben sind, d. h. es sind nur diejenigen objektiven Bedingungen
bezeichnet, die immer und überall vorhanden sein müssen, bevor der
tragische Eindruck entstehen kann. Es gibt aber eine Menge Faktoren,
die zu diesen Mindestbedingungen hinzukommen können und dann
oft ganz erheblich den tragischen Eindruck steigern. So ist z. B. die
schien es schon als einen ihr gehörenden sicheren Besitz zu haben,
sie brauchte nur noch die Hand danach auszustrecken — und da wird
plötzlich alles auf immer vernichtet. Das ist das Erschütternde und
somit das Tragische dabei.
Man findet dieses Resultat in zahllosen anderen Fällen bestätigt.
Ein Auswanderer der es sich zum Lebensziel gesetzt hat, in fremden
Ländern so viel Geld zu sammeln, daß er einmal das verlorene Eltern-
haus wiedergewinnen und damit auch den teuersten Wunsch seiner
Eltern erfüllen kann und der nun auf der Heimfahrt wenige Meilen
von der Küste einem Sturm zum Opfer fällt, ist meinem Empfinden
nach eine tragische Person, auch wenn er als Mensch das gewöhn-
liche Mittelmaß nicht überragt. Man kann also mit Lipps sagen, daß
die Forderung der Größe beim Tragischen »nicht allzu streng ge-
nommen werden darf« (Grundlegung der Ästh. I, S. 565). Sie muß
tatsächlich so wenig streng genommen werden, daß sie keine unbe-
dingte Forderung mehr ist.
Wie würden wir nun am besten das Wesen des Tragischen kurz
ausdrücken, wenn wir den beiden hier hervorgehobenen Gesichts-
punkten dabei Rechnung tragen wollen? Ich würde folgendermaßen
definieren: Tragisch ist der Untergang eines Menschen, der in unseren
Augen ganz besonders vor dem Untergang hätte geschützt sein sollen
entweder deshalb, weil man von ihm noch besonders viel zu erwarten
hatte oder deshalb, weil er von dem Leben besonders viel zu erwarten
hatte — oder noch aus irgend einem anderen Grunde. — Also kurz:
tragisch ist immer der Untergang eines solchen Menschen, der in
unseren Augen ganz besondere Voraussetzungen hatte, viel zu wirken
oder glücklich zu werden — oder zu beidem. Es ist besonders zu
beachten, daß diese besonderen Voraussetzungen nur in unseren
Augen vorhanden zu sein brauchen, objektiv betrachtet können sie
vielleicht fehlen. Die vom vernichtenden Leid getroffene Person
braucht also nur den Eindruck zu machen, als hätte sie besondere
Voraussetzungen zu bedeutender Wirksamkeit oder zum Glück. Da-
mit ist auch gesagt, daß dieser Eindruck durchaus nicht auf klarer,
begrifflicher Erkenntnis und einer vorangegangenen Untersuchung der
Sachlage zu ruhen braucht, er kann völlig gefühlsmäßiger Art sein
und ist es meistens. Weiter ist zu bemerken, daß in der hier ge-
gebenen Definition nur die Mindestforderungen des Tragischen
angegeben sind, d. h. es sind nur diejenigen objektiven Bedingungen
bezeichnet, die immer und überall vorhanden sein müssen, bevor der
tragische Eindruck entstehen kann. Es gibt aber eine Menge Faktoren,
die zu diesen Mindestbedingungen hinzukommen können und dann
oft ganz erheblich den tragischen Eindruck steigern. So ist z. B. die