VOM TRAGISCHEN. 31
Suggestion höfischen Lebens, durch den Glauben vor allem, die Ge-
liebte erwerben zu können, verleitet, das Persönlichkeitsideal einer ihm
wesensfremden Menschengruppe als das seine zu erwählen — ein
Versuch, den er nun notwendig mit dem Zerbrechen seines eigenen
Wesens bezahlen muß.
So kommen wir endlich zur dritten, höchsten Stufe der Aktivität,
dem Schaffen des Neuen. Es liegt nahe, für dessen Möglichkeit
das Wort >Genie zu wählen, und wenn man es vorzieht, so mag
es gerne gelten. Vielleicht wird man aber erstaunt sein, wenn ich
Hamlet als eine Tragödie der Zielschöpferkraft anspreche in durch-
aus bewußtem Gegensatz zu der üblichen Auffassung als Tragödie
der Unkraft, der Entschlußlosigkeit. Gewiß, eine Kraftnatur hätte
anders gehandelt, hätte mit eisernem Besen den Königshof gefegt und
sich die entsühnte Krone aufs Haupt gesetzt. Aber ich behaupte:
Hamlet ist nicht weniger als eine Kraftnatur, er ist mehr, und
darum fällt er der Tragik der Zielschöpferkraft notwendig zum Opfer.
Deren Tragik ist dies, daß das Genie kein anderes Mittel hat, sein
Werk zu schaffen, als die freiwillige Gefolgschaft edler Men-
schen. Ein neuer Gedanke kann nicht zwingen durch äußeren
Zwang, er ist ein Nichts, ein Wesenloses, wenn ihn nicht Menschen
freiwillig in ihren Schoß aufnehmen und ihm Fleisch und Blut geben.
Freiwillig; denn nur durch einen in ihm selbst liegenden Zwang
erzwingt das Richtige die Anerkennung — ja vielmehr umgekehrt:
nur wenn es freiwillige Gefolgschaft findet, ist es richtig, ist es gut.
Dies ist die tragische Wehrlosigkeit höchster Menschlichkeit, auf das
Band der Freiwilligkeit angewiesen zu sein, das allein Menschlichkeit
mit Menschlichkeit verknüpft. Hamlet, der königliche Jüngling, war
voll von Kraft und Willen, sein Band auszuwerfen allen denen zu,
denen er ein Führer, ein König in mehr als wörtlichem Sinne sein
konnte — niemand fing es auf; wo er reine und starke Hände er-
wartete, da ließ man es schleifen durch den Schmutz der Schande
und des Verbrechens. Da zerbrach diese Seele und es blieb nur
noch ein starker Trieb übrig: ein Ende zu machen. Ein Trieb
müssen wir sagen, nicht ein Wille oder ein Plan, angeknüpft an den
Willen dessen, was hinter der Rache kommt. Wenn das so wäre,
dann wäre Hamlet nicht ganz zerbrochen, dann hätte er noch Kraft,
eben dieses Hinterher zu wollen — nichts davon. Die Tragödie
Hamlet ist zu Ende, wenn der Vorhang sich hebt; was wir sehen,
ist wie das Taumeln eines edeln Tieres mit der tödlichen Kugel im
Korper — der Unverständige wundert sich darüber, und das Kind
lacht wohl gar; der tiefer Blickende aber fühlt, daß Edelstes hier ver-
nichtet wurde, und alles, was sich in ihm regt an Sehnsucht nach
Suggestion höfischen Lebens, durch den Glauben vor allem, die Ge-
liebte erwerben zu können, verleitet, das Persönlichkeitsideal einer ihm
wesensfremden Menschengruppe als das seine zu erwählen — ein
Versuch, den er nun notwendig mit dem Zerbrechen seines eigenen
Wesens bezahlen muß.
So kommen wir endlich zur dritten, höchsten Stufe der Aktivität,
dem Schaffen des Neuen. Es liegt nahe, für dessen Möglichkeit
das Wort >Genie zu wählen, und wenn man es vorzieht, so mag
es gerne gelten. Vielleicht wird man aber erstaunt sein, wenn ich
Hamlet als eine Tragödie der Zielschöpferkraft anspreche in durch-
aus bewußtem Gegensatz zu der üblichen Auffassung als Tragödie
der Unkraft, der Entschlußlosigkeit. Gewiß, eine Kraftnatur hätte
anders gehandelt, hätte mit eisernem Besen den Königshof gefegt und
sich die entsühnte Krone aufs Haupt gesetzt. Aber ich behaupte:
Hamlet ist nicht weniger als eine Kraftnatur, er ist mehr, und
darum fällt er der Tragik der Zielschöpferkraft notwendig zum Opfer.
Deren Tragik ist dies, daß das Genie kein anderes Mittel hat, sein
Werk zu schaffen, als die freiwillige Gefolgschaft edler Men-
schen. Ein neuer Gedanke kann nicht zwingen durch äußeren
Zwang, er ist ein Nichts, ein Wesenloses, wenn ihn nicht Menschen
freiwillig in ihren Schoß aufnehmen und ihm Fleisch und Blut geben.
Freiwillig; denn nur durch einen in ihm selbst liegenden Zwang
erzwingt das Richtige die Anerkennung — ja vielmehr umgekehrt:
nur wenn es freiwillige Gefolgschaft findet, ist es richtig, ist es gut.
Dies ist die tragische Wehrlosigkeit höchster Menschlichkeit, auf das
Band der Freiwilligkeit angewiesen zu sein, das allein Menschlichkeit
mit Menschlichkeit verknüpft. Hamlet, der königliche Jüngling, war
voll von Kraft und Willen, sein Band auszuwerfen allen denen zu,
denen er ein Führer, ein König in mehr als wörtlichem Sinne sein
konnte — niemand fing es auf; wo er reine und starke Hände er-
wartete, da ließ man es schleifen durch den Schmutz der Schande
und des Verbrechens. Da zerbrach diese Seele und es blieb nur
noch ein starker Trieb übrig: ein Ende zu machen. Ein Trieb
müssen wir sagen, nicht ein Wille oder ein Plan, angeknüpft an den
Willen dessen, was hinter der Rache kommt. Wenn das so wäre,
dann wäre Hamlet nicht ganz zerbrochen, dann hätte er noch Kraft,
eben dieses Hinterher zu wollen — nichts davon. Die Tragödie
Hamlet ist zu Ende, wenn der Vorhang sich hebt; was wir sehen,
ist wie das Taumeln eines edeln Tieres mit der tödlichen Kugel im
Korper — der Unverständige wundert sich darüber, und das Kind
lacht wohl gar; der tiefer Blickende aber fühlt, daß Edelstes hier ver-
nichtet wurde, und alles, was sich in ihm regt an Sehnsucht nach