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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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Breysig, Kurt: Die Grundmaße kirchlicher Innenräume und ihre Wirkung auf unser Raumgefühl: Eine stilgeschichtliche Untersuchung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0044
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DIE GRUNDMASZE KIRCHLICHER INNENRÄUME UND UNSER RAUMGEFÜHL. 37

nie ein Wort von diesen elementarsten Kunstwirkungen gesagt. Unend-
lich oft finden sich allgemeine Kennzeichnungen wie: majestätische
Weite, stolze Höhe oder dergleichen; sie sagen viel, aber sie lassen
noch mehr offen.

Da ist nun offenbar nur eine Abhilfe möglich: nämlich das Zurück-
gehen auf die Urbestandteile der Kunstwirkung einer künstlerischen
Hervorbringung. Ein solcher Versuch soll hier in Hinsicht auf die
Grundmaße von kirchlichen Innenräumen angestellt werden, d. h. wirk-
lich nur auf die Hauptabmessungen dieser Räume, also Länge, Breite
und Höhe. Innenräume sind gewählt, weil sie ihrem Wesen nach viel
eher als die Gesamtkörper der Bauten, wie sie das Auge von außen
umfaßt, auf diese Gradmaße zurückgeführt werden können. Sie haben
vor Außenräumen den Vorzug, daß das Auge an ihnen wirklich drei
Abmessungen wahrnehmen kann, während Außenansichten diese Mög-
lichkeit nur in bestimmten Fällen gewähren: von den Ecken oder von
einem Standpunkt aus, der höher als ihr Dach ist (welch letzterer Fall
deshalb auch ungewöhnliche Reize verschafft: man sieht das Körper-
hafte und damit das eigentlich Baumäßige, Tektonische eines Hauses
nie so gut, als wenn man es hoch von oben sieht, etwa von einem
Viadukt oder einem hohen Eisenbahndamm). Doch auch noch hier-
von abgesehen ist die Innensicht jeder Außensicht überlegen: sie ist
nicht durch die Umgebung noch auch durch die Einzelgestaltung der
Ausgliederung des Baus so zerstreut und beirrt wie die Außensicht.
Wie wenige Bauwerke sind so ganz körperhaft gebaut, daß sie nach
außen überhaupt den einheitlichen Eindruck ihrer drei Grundabmessungen
ausstrahlen. Ganze Kunstweisen vereiteln durch ihre Besonderheit eine
solche Ausstrahlung: wer von der romanischen Baukunst zur goti-
schen gelangt, wird durch nichts so sehr befremdet wie durch die fast
völlige Vereitelung solchen Gesamteindrucks an dem Äußeren gotischer
Dome. Sie zerstreuen durch die Ausbildung der Einzelheit das Auge
so sehr, daß es zu keiner Einheit gelangt: höchstens die hohen Chöre
der frühesten Gotik sind dazu gefaßt genug, etwa Sankt Peter zu
Wirnpfen im Tal, oder auch späterhin solche Chöre, die besonders
trei hingestellt sind, namentlich aller Strebebogen entbehren — wie
etwa der hohe Chor des Domes zu Erfurt oder der der Klosterkirche
von Chorin.

Kirchliche Innenräume aber sind gewählt, erstlich weil sie bei weitem
am häufigsten große und an sich weit größere Abmessungen aufweisen
as weltliche Innenräume in der Regel — Ausnahmen wie der große
^_aa im Schloss Pommersfelden prägen sich dem Gedächtnis um so
sV nTvT' ZUm zweiten> weil sie> mit den stärksten Gewichten seeli-
c er Nebeneindrücke beschwert, am leichtesten von der rein sinnlich-
 
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