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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0097
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QO BESPRECHUNGEN.

strukteurs auf seine Schüler übergegangen wäre. Allen »einheitlichen Gesichts-
punkten« zum Trotz gelangt auch das vorliegende Werk nicht zu einer großen
Synthese.

Nach einer kurzen Einleitung über die ästhetischen Prinzipien und das Wesen
der modernen Kunst behandelt der Verfasser die tektonischen Künste, die Malerei,
die Musik und die Dichtung der Gegenwart. Eine normative Ästhetik, die allein
Kunstlirteile objektiv zu begründen vermöchte, ist auf psychologischem Wege, durch
bloße Seinsanalyse, nicht zu erhalten. Nur als Teil einer apriorischen Metaphysik
sei sie denkbar. Aber eine solche Ästhetik gibt es nicht. Der Methode der Kunst-
philosophie widerspricht das synthetische Verfahren der Metaphysik. Die Kunst-
phiiosophie muß analytisch vorgehen, sie kann ihren Tatbestand nicht begründen,
sondern muß ihn voraussetzen. — Dagegen ist sogleich zu sagen: psychologische
oder metaphysische Ästhetik ist keine vollständige Disjunktion. Es gibt eine kriti-
sche Ästhetik. Ferner ist die Identifizierung von Ästhetik und Kunstphilosophie bei
einem Hegelianer zwar begreiflich, sollte aber doch jedesmal erst gerechtfertigt
werden.

Derjenige Stil, der dem metaphysischen Selbstbewußtsein (der mystischen Ver-
söhnung) am meisten entspricht, ist der vollkommenste: es ist der monumentale.
Alle Kunst hat pantheistisch-mystischen Charakter. Durch Formgestaltung in der
Totalität der Erfahrung erhebt die Kunst die Erscheinung zum Wesen.

Die moderne Kunst wird aus der Reaktion gegen den Klassizismus abgeleitet.
Als ihr Wesen erscheint die Auflösung des Gegenständlichen, ein Relativismus nach
Inhalt und Form. Entsprechend der Vorherrschaft des Positivismus in ihrem Ge-
burtslande (Frankreich) wird die neue Kunst zunächst sinnlicher Pantheismus. Die
Zersetzung des Gegenständlichen im Impressionismus ist nur ein Ausdruck der prak-
tischen Zerlegung des Menschen in zahllosen Relationen. Zwischen der Romantik
und dem impressionistisch-naturalistischen Stile besteht eine prinzipielle Verwandt-
schaft (der Relativismus), was auch den Umschlag des letzteren zur Neuromantik
erklärlich macht. Eine zugleich romantische und naturwissenschaftliche Bewegung
ist die neueste, welche die Grenzen der Künste zu verwischen und das Wesen aller
in Bewegtheit, Rhythmus, zuletzt in Musik aufzuheben sucht.

Die tektonische Kunst konnte im rationalistischen Zeitalter deshalb arn ehesten
Fortschritte machen, weil sie, wie der Rationalismus selbst, Sachkultur ist. Wie es
freilich möglich sein kann, im heutigen Deutschland von einem »großen und unbe-
strittenen Aufschwung der tektonischen Künste« zu reden, bleibt Geheimnis des
Verfassers. — Rodin hat den sinnlichen Pantheismus zum kosmischen gesteigert.
Der sinnliche Impressionismus wendet sich auf seinem Gipfelpunkte in einen geistigen
um und wird zum Ausdruck metaphysischen Verlangens. Die entscheidende Frage
der modernen Malerei ist, ob ihr bisheriger kosmischer Pantheismus zu einem mysti-
schen übersteigert werden kann. Gelänge dies, so erhielten wir eine Synthese der
mittelalterlichen und der modernen Innerlichkeit. Die Frage ist allerdings, ob die
ungeheure Aufgabe, das, was uns heute Mystik ist, durch die sinnliche Form der
Malerei darzustellen, ihre Möglichkeiten nicht überhaupt überschreitet. Das Befremd-
liche der jüngsten Malerei erklärt der Verfasser aus der Vorstellung dieses unge-
heuren Problems, für das sich ein Genie bisher noch nicht gefunden hat. Der Ku-
bismus ist eine Grenzüberschreitung: die Kunst ist zwar nicht an den empirisch-
realen Raum gebunden, aber der Künstler kann doch, im Gegensatz zum Philo-
sophen, nur durch die Erscheinung zum Wesen gelangen. Wie sich diese Hegel-
schen Formeln mit der Gegnerschaft des Verfassers gegen die Inhaltsästhetik ver-
tragen, ist aus dem vorliegenden kurzen Abschnitt nicht zu ersehen. — Wie der
 
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