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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0104
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BESPRECHUNGEN. 97

für eine der wichtigsten Aufgaben der Musikästhetik hält. Nicht die Ästhetik, son-
dern die Theorie der Musik im engeren und eigentlichen Sinn ist es, der solche
Untersuchungen zukommen. Solange diese Einsicht und Unterscheidung den Ver-
tretern der Musikwissenschaft nicht zuteil geworden und in Fleisch und Blut über-
gegangen ist, wird kein Gedeihen der wissenschaftlichen Musikästhetik in größerem
Umfang möglich sein.

Zur literarischen Seite der Wagner-Forschung tührt Ernst Meinck zurück, der
den dichterischen Einfluß Wagners auf Gerhart Hauptmann klarlegen will und sich
dazu der uns schon bekannten, von Arthur Seidl benutzten Methode der Parallel-
stellen bedient. Wenn Heinrich in der Versunkenen Glocke sagt: »Ja trinken —
will ich«, so wird dem Fafners »Trinken wollt' ich: nun treff ich auch Fraß!«
gegenübergestellt. Bei Hauptmann heißt es: »Im Quell ist Blut, nur Blut«, im
Parsifal wird von »des heiligsten Blutes Quelle gesprochen. Auf diesem Wege
kommt Meinck zu dem überraschenden Ergebnis, daß besonders der Ring, Tristan
und Parsifal Hauptmann als Vorbild gedient haben. — Der Methode der Parallel-
stellen bedient sich leider auch Richard Sternfeld. Die Strafe bleibt aber nicht
aus. Sie besteht darin, daß Sternfelds sonst so reine und vornehme künstlerische
Gesinnung sich bis zur Blasphemie verirrt in der Weise, daß er, durch eine rein
äußere Ähnlichkeit verführt, die väterlichen Gefühle des im Abschied vom geliebten
Kinde tief bekümmerten Wotan zusammenstellt mit dem brünstigen Ergüsse des in
sinnlicher Liebe zu Semele entbrannten Zeus.

Von ihrer weniger starken Seite zeigt sich die spezifisch Bayreuther Geistes-
richtung noch bei Hans von Wolzogen, wenn er Schillers Wort vom Ernste des
Lebens und der Heiterkeit der Kunst im Hinblick auf Wagner nicht so ganz gelten
lassen will. — Auch Arthur Seidls sehr ausführlicher Bericht über »,Parsifal'-
Schutz« dürfte mehr durch die Ehrlichkeit und Redlichkeit der Gesinnung als durch
zwingende Gründe imponieren. Sehr schlecht zu sprechen ist Seidl auf Hermann
Bahr, diesen »Schlangenmenschen von fragwürdiger Persönlichkeit-, der die Ange-
legenheit »ganz unstreitig mehr kompromittiert als etwa gefördert haben dürfte«. Zu
besonderer Genugtuung gereicht es Seidl aber auch, »dem Herrn Geheimrat Prof.
Dr. Jos. Kohler, der sich zumal in den Jahren 1912 13 — sehr autoritativ gebärdete —
um nicht zu sagen: höchst unangenehm in den Vordergrund drängte, schon da-
zumal ganz gründlich die widerlegende Meinung gesagt zu haben«. — Der Heraus-
geber Frankenstein selbst würdigt die Bayreuther Festspiele 1912 in einem für
Siegfried Wagner sehr schmeichelhaften Sinne und gibt eine Bibliographie für 1912
mit Nachträgen für 1907—1911. — Der zum engsten Bayreuther Kreis gehörende
K. Fr. Glasenapp berichtet über die Entstehungsgeschichte des »Wagner-Lexikons«.
Wertvolle Abhandlungen und Kritiken steuern noch bei Altmann, Mehler,
Golther, Sternfeld und insbesondere wieder Max Koch. Zwar scheint Koch
geneigt zu sein, mit Walther Dohn in Wagner einen großen Sozialreformer zu sehen
und mit Fritz Strich die Form des Musikdramas aus dem Wesen des Mythos her-
zuleiten. Höchst beherzigenswert ist aber unter anderem das, was er sagt von der
engen Beziehung der Tristan-Dichtung zu Mathilde Wesendonck, über Wagner als
Abschluß einer mit Klopstock und Herder einsetzenden Richtung unserer Dichtung
und über seine innige Zugehörigkeit zur Romantik. Koch gibt Glasenapps Be-
fangenheit und einseitige Stellungnahme in allem, was die Familie Wagner und
Bayreuth betrifft, zu und räumt sogar ein, daß man sich den Angaben der Auto-
biographie gegenüber gar nicht kritisch genug verhalten könne, da Wagner offen-
bar von seinem Gedächtnis zuweilen stark im Stich gelassen worden sei.

Damit ist diejenige Unabhängigkeit und Freiheit des Blickes gewonnen, auf

Zeitschr. f. Ästhetik it. allg. Kunstwissenschaft. X. 7
 
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