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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0106
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BESPRECHUNGEN. 99

naiven Dichtung an sich ebenso widerspruchsvoll ist, wie der einer naiven Mensch-
heit und einer naiven Natur, da alles künstlerische Schaffen ein gewisses Un-
befriedigtsein von der Welt des Wirklichen zur Voraussetzung habe, im Grunde also
sentimentalisch sei. Insonderheit erscheint ihm die Gleichsetzung von naiver, primi-
tiver und griechischer Poesie als durchaus unhaltbar. Denn einerseits lasse gerade
der primitive Mensch das von Schiller so stark betonte Gleichgewicht der seelischen
Kräfte durchaus vermissen, anderseits aber sei das, was Schiller als antike Dichtung
gekannt habe, alles andere als primitiv.

Nicht weniger vernichtend als diese Kritik von Schillers Auffassung des Naiven
lautet die seiner Vorstellung vom Sentimentalischen. Ausgehend davon, daß der
von Schiller behauptete unüberbrückbare Abgrund zwischen der Sinnenwelt und
dem sittlichen Willen gar nicht bestehe, legt Basch dar, daß die von Schiller an-
genommenen Voraussetzungen für eine im besonderen Sinn sentimentalische Poesie
überhaupt nicht gegeben seien. Des weiteren zeigt er, wie sehr bei Schiller die Auf-
fassung der Natur als Inbegriff alles Endlichen in die Vorstellung einer nur immanenten
Gesetzen unterworfenen Existenz hinüberspielt. Wo also — fragt Basch — bleibt die
Grenzlinie zwischen naiver und sentimentalischer Dichtung, auf die Schiller doch
solch großen Wert zu legen scheint? — Er findet vielmehr, daß der Begriff einer
naiven Poesie von Schiller im Grunde nur darum aufgestellt wird, um für den
einer sentimentalischen Dichtung ein um so stolzeres Piedestal zu haben. Aber ge-
rade dadurch scheint ihm der Dichter die letztere jedes wirklichen Gehalts beraubt
zu haben.

Wir brauchen wohl nicht darüber zu streiten, ob sich von dieser Kritik nicht
vielleicht das eine oder andere abstreichen ließe. Der Hauptsache nach ist sie
sicherlich ebenso berechtigt, wie sie Kant gegenüber berechtigt war, den der Verfasser
damals gleichfalls auf diesen ominösen imperativismc festgenagelt hatte. Wenn
sie trotzdem vielleicht kein so ganz reines Wohlbehagen bei uns auslöst, so macht
das wohl weit weniger der Umstand, daß dieses Starstechen gerade dem an sich
schon so vielfach bekrittelten Dichter gilt, als vielmehr das dunkle Gefühl, daß es
einer so schweren Operation wohl kaum bedurft hätte. Um so mehr aber wird
sich verlohnen, dieses dunkle Gefühl zu einer klaren Erkenntnis zu steigern.

An die Spitze seiner Kritik stellt der Verfasser die These, daß Schillers Methode
eine => imperative« sei. Wir werden ihm entgegenhalten dürfen, daß seine Kritik
eine nicht weniger imperative, oder sagen wir vielleicht besser: kategorische Methode
zeigt. Fast ließe sich behaupten, daß ihm die Unrichtigkeit der Schillerschen Auf-
stellungen weit entschiedener für erwiesen gilt, als dem Dichter selber ihre Richtig-
keit. Freilich wäre damit Schillers Verfahren an sich nicht gerechtfertigt. Aber
liegt nicht gerade in dem imperativen Charakter der Schillerschen Methode zugleich
ihre Rechtfertigung? An sich ist der Dichter sich ja völlig bewußt, daß er Ge-
setze statuiert. Aber er glaubt es tun zu dürfen, weil er die von ihm aufgestellten
Normen für in der Natur der Sache begründet hält. Er sieht, wie Kant das Reich
des Schönen von dem des Sittlichen trennt, und kommt dadurch auf den Gedanken,
nunmehr auch diesem Reich die eigentlichen Gesetzestafeln zu schaffen, zum wenig-
sten für das Gebiet der Dichtung. Im Grunde setzt er dabei nur den Weg fort, den
andere, den namentlich Opitz, Gottsched und Lessing schon vor ihm eingeschlagen
hatten. Nur steigt er wirklich bis zum Gipfel hinan. Er stellt als erster die Zentral-
frage zur Diskussion: Was ist die Dichtung ihrem Gehalt nach, was ist ihr Gegen-
stand und wie stellt sich der Künstler zu ihm? Von dieser Seite aus gesehen,
muß uns Schillers normative Ästhetik genau ebenso als Krönung des Rationalismus
erscheinen, wie Kants Kritizismus dem Philosophen als solche erscheinen mag.
 
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