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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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Hamann, Richard: Zur Begründung der Ästhetik
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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0121
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114 RICHARD HAMANN.

mußte notwendig die Frage auftauchen: warum bleiben wir nicht bei
der unmittelbaren Erfahrung stehen, warum beschreiben wir nicht
diese, was bestimmt uns, diese Erfahrungen in eine Form der Objekt-
Subjekt-Erfahrung, der psychophysischen Wirklichkeit zu bringen, was
bedeuten diese Begriffe? So wird die Aufgabe erkenntnistheoretisch.
Und weiter: nach welchen Prinzipien geht diese Umformung der un-
mittelbaren Gegebenheit in die Wirklichkeitserfahrung vor sich, welche
gesetzmäßigen Beziehungen zwischen den unmittelbar gegebenen Daten
erklären uns dieses Verfahren? So wird die Aufgabe eine phänomeno-
logische. Ein Beispiel möge erklären, wie auf Grund gleicher un-
mittelbar gegebener Erfahrung verschiedene Erfahrungserkenntnisse
entstehen können oder Urteile gefällt werden, die verschiedenes be-
deuten. So kann das, was ich als Gesehenes erlebe, wenn ein Mann
einen anderen verwundet, zunächst rein mechanisch naturwissenschaft-
lich beschrieben werden, als ein Vorgang von Bewegungen, Lage-
veränderungen der substantiellen Bestandteile, meßbarer Entfaltung von
Energien usw. Die Begriffe, die ich anwende, haben naturwissen-
schaftliche, oder zunächst rein dingliche Bedeutung, wenn ich mich
auf die Begriffe von Körper und Bewegung im Räume und in der
Zeit beschränke. ,

Denselben Vorgang kann ich beschreiben als Ausdruck einer Ge-
sinnung, der Gewalttätigkeit auf der einen Seite, der Feigheit auf
der anderen, des Unrechts und des Unrecht Erleidens, der Schuld und
der Unschuld; hier bedeuten also die Begriffe etwas ganz anderes als
im ersten Falle. Ich gelange ins Gebiet der moralischen und juristi-
schen Bedeutungen.

Oder ich wende die Begriffe an der Verwundung, der Lebens-
gefährdung auf der einen Seite, des Wahnsinns auf der anderen Seite.
Es sind medizinische Begriffe, die wieder mit den moralischen nichts
zu tun haben, ja diese aufheben können. Wo ich ein solches Ge-
schehen als Folge des Wahnsinns beschreibe, verliert der Begriff der ,
Schuld seinen Sinn, und umgekehrt. Es sind eben ganz verschiedene
Erfahrungskategorien, mit denen hier ein Objekt beschrieben wird
und verschiedene objektive Eigenschaften auf Grund derselben Ge-
gebenheiten in Begriffen fixiert werden.

So entsteht die Aufgabe, die Prinzipien dieser verschiedenen Be-
deutungsgebiete zu untersuchen, die Bedeutung der naturwissenschaft-
lichen, medizinischen, ethischen Begriffe festzulegen. Dies kann selbst
noch wieder phänomenologisch geschehen, indem wir die gesetzmäßigen
Beziehungen festzulegen suchen, die zwischen dem unmittelbar Ge-
gebenen einerseits, dem Begriff und den auf den Begriff bezogenen
Folgen anderseits bestehen. Dabei würde sich ergeben, daß die
 
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