Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

DOI article:
Hamann, Richard: Zur Begründung der Ästhetik
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0123
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
116 RICHARD HAMANN.

näheren Bestimmungen eine ästhetische Eigenschaft des Dinges be-
zeichnet zu haben. Auch alles, was wir einfach als Naturbeschreibung
an Eigenschaften des Dinges aufzählen können, selbst die rein äußer-
lichen wie Größe, Gestalt, Verhältnisse, Farbe, sind eben Eigenschaften
des Dinges und als solche einer begrifflichen, ja mathematisch natur-
wissenschaftlichen Beschreibung zugänglich, die mit Ästhetik noch
nichts zu tun hat. Daß auch die äußeren Eigenschaften des Dinges
nichts Ästhetisches sind, geht daraus hervor, daß die sich für die
naturwissenschaftliche Auffassung gleichbleibenden Proportionen, z. B.
des goldenen Schnittes oder des Quadrates, Kreises, ästhetisch be-
deutsam nur sind, wenn sie auch unmittelbar sinnlich wahrgenommen
werden. Dabei kann sich ergeben, daß das wirkliche, d. h. nachmeß-
bare Quadrat gar nicht gemeint ist, wenn wir das Ding wegen seiner
quadratischen Gestalt schön nennen, sondern die gesehene scheinbare
Quadratfigur, und wir korrigieren uns nicht, wenn wir nun erfahren,
daß das Ding in Wirklichkeit nicht quadratisch ist.

Die Einsicht, daß unter den uns geläufigen Urteilskategorien das
Ästhetische keinen Platz hat, hat dazu geführt, in der besonderen
psychischen Wirkung, dem Eindruck, den die Dinge auf uns machen,
das spezifisch Ästhetische zu suchen, in einer besonderen Art der
Gefühlswirkung, die die Dinge auf uns üben, wie es in den Worten
gefallen und mißfallen ausgedrückt sei. Es könnten also die Dinge
oder die objektiv bedeutsamen Inhalte, mag es sich um leblose
Gegenstände oder belebte Körper handeln, um gesunde oder kranke
Personen, um sittliche Taten oder körperliche Leistungen, dieselben
sein, aber die psychologische Wirkung könnte eine verschiedene sein,
ein Ansporn des Willens zum Handeln, eine Aufforderung des Intellekts
zur begrifflichen Erklärung oder nur die Wirkung aufs Gefühl. Letztere
aber sei das eigentlich Ästhetische. Dabei mag es noch einen Unter-
schied ausmachen, ob wir diese Wirkung als reaktives Gefühl, Ge-
fallen und Mißfallen, Bewunderung und Abscheu auffassen oder als
imitatorisches Gefühl, Einfühlung, innere Nachahmung. Daran haben
sich dann auch Versuche angeschlossen, einmal die Besonderheiten
dieser Gefühle festzustellen, ferner welche Gefühle verschiedene Arten
von Objekten in uns erwecken, und v/ie verschiedene Personen mit
ihren Gefühlen auf die Objekte verschieden reagieren. Aber alle
diese psychologischen Erkenntnisse haben zu einer Entscheidung über
das, was ästhetisch an dem Gefühl sei, und was Ästhetik als Wissen-
schaft bedeute, nicht geführt. Denn es ergab sich, daß eine sittliche
Tat uns gefallen oder mißfallen kann, ohne daß sie dadurch ästhe-
tische Bedeutung erlangt. Auch diese Gefühle blieben sittlich oder
unsittlich. Ebenso konnten wir uns in die Tat einfühlen, so wie wir
 
Annotationen