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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0221
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214 BESPRECHUNGEN.

auf das Historische, sondern auf das Ästhetische gerichtete Besprechung der Absicht
des Autors gemäß. Daher brauchte das Fehlen spezieller historischer Kenntnisse
über die ostasiatische Kunst den Referenten nicht von der Anzeige zurückzuhalten.

Glaser beginnt mit einem doppelten Glaubensbekenntnis. Erstens ist er, und
wohl mit vollem Recht, davon überzeugt, daß die Grundprinzipien produktiv-
künstlerischen Schaffens, trotz aller rassengemäßen, volklichen und landschaftlichen
Besonderheiten, in der ganzen Welt und bei allen Menschen die gleichen sein
müssen, »sofern der Mensch selbst als natürliches Wesen in den Grundformen
seines Körperbaus und seiner Triebe der gleiche ist« (S. 2). Und zweitens stellt
er an die Spitze seiner Untersuchungen und Berichte ein spezielles Glaubens-
bekenntnis über diese Grundprinzipien des produktiven künstlerischen Verhaltens,
das, von Nohls »Weltanschauungen der Malerei« angeregt, die Grunddisposition
des ganzen Buches gibt.

Glaser nimmt drei Möglichkeiten des ästhetischen Verhaltens an. Mit all-
bekannten Worten kann man sie als die idealistische, die naturalistische und
die expressionistische Verhaltungsweise bezeichnen. Dementsprechend zerfällt
das Buch in drei Hauptabschnitte, die folgendermaßen benannt sind: Das Götter-
bild; Chuan Shen = »Porträtkunst«; Ch'i-yün = »Echo der Seele«.

Uns scheint dabei die erste Gruppe als Grundverhaltungsweise den beiden
anderen nicht nebengeordnet, sondern untergeordnet zu sein. Liest man sich stark
in die nur sechsundeinhalb Seiten ein, die dieser ganze Abschnitt »Das Götterbild«
umfaßt, so wird klar, daß mit dieser »Idealkunst«, um es an einem europäischen
Beispiel deutlich zu machen, etwa die Kunstweise der griechischen Blütezeit
gemeint ist; jene Einstellung des ästhetischen Erlebens also, die ihre größte
Bereicherung in einer Fortführung des Einmalig-Individuellen zum Begrifflich-
Typischen hin erfährt. Es tritt ein Abschleifen der naturalistischen Merkmale, ein
Ab-Ecken und Ab-Gleichen der individuell-vielfältigen Formen ein. Man nähert sich
dabei dem begrifflichen Bilde einer Sache, die Form wird vom einmalig-»blutigen«
Erlebnis zu einer charakteristischen Ruhe und »Haltung«, zu einem »Dauercharakter«
geführt, der dem Erlebensgefühle eine Art »Ewigkeitsstimmung« verleiht. So wie
die vom Individuellen gereinigten begrifflichen Bilder den Charakter einer starken
»Unveränderlichkeit« besitzen, eben die Möglichkeit, in sich unverändert und gleich-
bleibend, Hunderte von verschiedenen Individualerlebnissen, die zu jenem begriff-
lichen Bilde gehören (also etwa hundert individuelle Baumerlebnisse), immer in
derselben ruhenden und gleichbleibenden begrifflichen Formung aufzunehmen: so
wird das produktive Schaffensgefühl einer Gruppe oder eines Menschen von der
ästhetischen Seite aus diese Formung dann bevorzugen, wenn es sich darum
handelt, den »Gott« zu gestalten, dessen. »Dasein nichts mehr mit der zufälligen
Realität seiner leiblichen Wirklichkeit gemein hat« (S. 10). »Wohl muß jede
religiöse Kunst für das Bild ihrer Götter die Formen der Wirklichkeit leihen. Aber
das echte Götterbild ist nicht das Bild eines individuell beschränkten Menschen.
Das Einzelne wird vernichtet, es wird aufgehoben in dem Allgemeinen« (S. 9).

Wir glauben, daß es nicht nötig ist, diese im gewohnheitsgemäß-üblichen
Sinne »idealistisch« genannte Schaffensweise als prinzipiell unterschieden noch
neben den beiden anderen Arten aufzustellen. Wir glauben, daß man innerhalb
des ästhetischen, also des Gefühlsgebietes, mit den beiden Formen der natur-
nahen und der naturfernen Schaffensart durchaus auskommt'), und daß es deshalb
schon das Ökonomieprinzip der Wissenschaft empfiehlt, von der Nohlschen Drei-

*) Vgl. Deri, Psychologische Kunstlehre, Stuttgart 1912.
 
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