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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0236
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BESPRECHUNGEN. 229

denkbar, einen jeden Teil in entsprechender Verkleinerung zu wiederholen. Das
Lesen einer Gartenlandschaft ist darum keineswegs leicht. Ohne anleitende Er-
klärung ist es kaum möglich, zu erkennen, daß ein Garten etwa eine Landschaft
am Biwasee wiedergibt. Es braucht dazu kein Wasser und keine Berge. Zwei
kleine Brücken, die sich an einem Steine treffen, erinnern an die große, zwei-
geteilte Brücke von Seta, eine allein stehende Kiefer an den Baum von Karasaki.«
(S. 171.)

Glaser enthält sich auch hier jedes Werturteils über diese Art von Kunstformung.
Und soweit wir die zuweilen anklingende Minderwertung der andersgearteten
europäischen Gepflogenheiten übersehen wollen, können wir uns auch im Referate
mit der Konstatierung begnügen, daß dem völlig voii dem unsrigen verschiedenen
japanischen seelischen »Habitus« eine derart »geordnete« Gartenschöpfung eben
durch die anschließenden Erinnerungsassoziationen an selber gesehene oder nicht
einmal selber gesehene, sondern nur »berühmte« Landschaftsbilder eine Gefühls-
bereicherung, also einen ästhetischen Wert bedeutet.

Etwas gezwungen scheint uns schließlich die letzte Parallele zu sein, die
Glaser zwischen dem »Naturschönen« der rein gefundenen und aufgelesenen »Steine«
und der »Töpferkunst« aufstellt. Doch vielleicht hat Glaser recht, in dieser Töpfer-
kunst so etwas wie »absolute Plastik«, Formbildung ohne jeden gegenständlichen
Inhalt zu sehen. Er wird besser als wir wissen, ob tatsächlich das »reine An-
schauen« von Gefäßen, ganz abgesehen von deren Gebrauchszweck, in Japan seine
Gemeinde hat. Er sagt darüber: »So folgt der Töpfer den immanenten Form-
gesetzen seiner Erde. Keine Kunst ist so rein aus dem Material geworden wie
die seine. Das Kunstwerk ist Form und Farbe gewordener Stoff. Eine Teeschale,
eine Blumenvase ist Rundplastik. Sie will nicht irgendein Naturgebilde nachahmen.
Aber der Künstler, der das Gerät formt, vertraut ebensosehr seinem plastischen
Gefühl wie der Bildhauer, der einen Menschenkörper in Ton bildet. Der Töpfer
braucht nicht den Umweg über das fremde Naturprodukt. Er ahmt nicht nach.
Unmittelbar läßt er sein Material zur Form wachsen« (S. 175 f.). —

Und nun müßte man das ganze Schlußkapitel »Der Genießende und das
Kunstwerk« hierhersetzen, um der Fülle und Kraft des Werkes gerecht zu werden.
Doch das geht nicht wohl an. Man lese das schöne Buch, und man wird es nicht
bereuen. Eine ganz geschlossene, einheitlich gebaute fremde Kultur tut sich auf,
im Großen und Kleinen der Darstellung wahrhaft gemeistert. Man erlebt ein völlig
neues, ein anders geartetes, anders geordnetes Dasein. Die Summe aller Unter-
suchungen wird in der »Teezeremonie« gegeben. Das Buch rundet sich und be-
kommt einen vollen, akkordhaften Abschluß. »Beschränkung, nicht Entfaltung ist
der Grundsatz für den (japanischen) Kunstgenuß wie das Prinzip der Kunst selbst.«
»Aber innerhalb der Konventionen hat die Darstellung einen so hohen Grad von
Notwendigkeit, daß ihr die Überzeugungskraft der Wirklichkeit eignet.« »Nicht
immer ist Reichtum Glück.« Drei Sätze aus dem Schlußkapitel, vom Anfang, aus
der Mitte und vom Ende.

Zwingend stellt dieses letzte Kapitel das Kunstwerk mitten in sein Milieu. An
mannigfachen Parallelen aus dem Gemeinschaftsleben wird der gleiche Geist ge-
zeigt und damit auf die tieferen soziologischen Gründe der Gebundenheiten der
ostasiatischen Kunst hingewiesen. »Bis in den Tod grausamster Selbstentleibung
in umständlicher Zeremonie war das Leben des Japaners vom alten Schlage in
feste Formen gebunden. Wie er den Baum zwingt, das natürliche Wachstum dem
ästhetischen Gesetz zu unterwerfen, so ist er unerbittlich gegen sich selbst und
beschneidet die Willkür eines ungezügelten Daseins. Das Leben bewegt sich
 
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