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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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Feldkeller, Paul: Der Anteil des Denkens am musikalischen Kunstgenuß, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0275
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268 pAUL FELDKELLER.

ästhetischen Eindrücke eingegangen ist. Darum darf man hier eigent-
lich auch nicht mehr von »Apperzeption« reden, weil man unter
diesem Begriff doch eine Funktion des Intellekts versteht.

Bei allen Gestaltqualitäten aber, und besonders bei den kompli-
zierten, d. h. denen höherer Ordnung, wird man eine Apperzeption
voraussetzen müssen, welche eben die, wenn auch noch so primi-
tive, intellektuelle Vorbereitung der Gestaltqualität darstellt. Diese
selbst aber ist durch bloße Apperzeption nicht zu erklären, sondern
ist mehr als eine solche, da ja, wie wir besonders aus unserem ab-
strakten Denken wissen, sogar die schwierigste und eindrucksvollste
Apperzeptionsarbeit keinerlei Spur einer Gestaltqualität im Bewußtsein
zu erzeugen und zu hinterlassen braucht. Um aber den Begriff der
Gestaltqualität für diese Arbeit eindeutig festzuhalten, wird es sich
empfehlen, eben nur solche Qualitäten mit diesem Namen zu benennen,
die folgender erster Bestimmung genügen: die nämlich nachweis-
lich durch Synthese, d. h. mindestens durch die allerelementarste Apper-
zeption des simultanen oder sukzessiven Bei-einander-seins zustande-
gekommen sind. Damit sind einfache, fundierende Qualitäten, deren
Fundierung durch andere sich noch nicht hat nachweisen lassen,
einerseits und zusammengesetzte oder Gestaltqualitäten anderseits von-
einander geschieden.

Durch den Ursprung infolge (wenn auch primitivster) verstandes-
mäßiger Apperzeption war eine Seite des intellektuellen Anteils an
der Gestaltqualität gekennzeichnet. Eine zweite ergibt sich aus der
Tatsache, daß alle Gestaltqualitäten (zusammen mit einem Teil auch
der »einfachen«, scheinbar unzusammengesetzten Qualitäten) sich in
jedesmal bestimmten Urteilen beziehungsweise Handlungen (was auf
dasselbe hinausläuft) zu entladen pflegen, mithin trotz ihres an sich
ganz alogischen Charakters dennoch eine intellektuelle Funktion, näm-
lich die der (»gefühlsmäßigen«) Orientierung, ausüben, kurz gesagt:
intentionalen Charakter tragen. Der Ausdruck »Physiognomie«,
den wir auf alle diese Qualitäten übertragen können, sagt noch deut-
licher, was gemeint ist. Wie aus der Physiognomie eines Antlitzes,
das uns Alter, Charakter, Lebensschicksale und anderes in ganz un-
begrifflicher Weise erzählt«, so lesen wir aus der näselnden Ton-
physiognomie der Oboe, der elegischen des Fagotts, der resignieren-
den des Septakkordes der schreienden Farbenphysiognomie eines
grellen Rot ganz bestimmte intellektuell irgendwie bedeutsame Ein-
drücke heraus.

Dieser intentionale Charakter ist nichts Selbstverständliches. Wir
können einen einfachen Klang, ein einfaches Grau wahrnehmen, ohne
den geringsten Eindruck einer derartigen Intention zu verspüren. Zu
 
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