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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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Feldkeller, Paul: Der Anteil des Denkens am musikalischen Kunstgenuß, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0296
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DER ANTEIL DES DENKENS AM MUSIKALISCHEN KUNSTGENUSS. 289

zu den sie erzeugenden Komponenten im einzelnen, über die hier vor-
liegenden Gesetzmäßigkeiten u. a. Bei weiterem Forschen dürfte sich
wohl die Erkenntnis auftun, daß es für den Komponisten — in viel
höherem Grade als für jeden anderen schaffenden Künstler — unmög-
lich ist, alle und jede Bedingungen ein für allemal festzulegen, unter
denen der Musikgenuß zustande kommen soll, um bei allen Hörern
ein und dieselbe Wirkung hervorzubringen. Unser gesamtes geistiges
Leben läßt sich am allerwenigsten durch bloße Gehörseindrücke in
seinem nie rastenden Fluß aufhalten. Selbst wenn man darum berück-
sichtigt, daß es für alle Erwachsenen derselben Rasse und Kultur ein
gewisses Quantum gemeinsamer allgemein-menschlicher Lebens-
erfahrungen gibt und daß auch der jeweilig gegebene Text das Erleb-
nis mitbestimmen hilft, bleiben für jeden Hörenden noch überreiche
unkontrollierbare Erfahrungen übrig, welche die resultierenden kom-
plexen Gestaltqualitäten gerade der solchen Beeinflussungen außer-
ordentlich zugänglichen Musik mitbestimmen. Darum muß man von
vornherein mit einer großen Mannigfaltigkeit in der Art der Aufnahme
musikalischer Kunstwerke rechnen. Dogmatische Einseitigkeit ist auf
keinem Gebiet der Kunstphilosophie so übel angebracht wie auf dem
Gebiet der Musikästhetik.

Wir haben untersucht, wieweit Verstand und Denken am Musik-
genuß beteiligt sind. Die Untersuchung kann, da das intellektuelle
Moment naturgemäß (infolge neutraler, technischer Apperzeption von
nur »fiktiver« Funktion) einseitig ins Auge gefaßt werden mußte, einen
intellektualistischen Eindruck hinterlassen. Um diesen Eindruck, so-
weit er noch bestehen sollte, zu zerstören, sei ausdrücklich betont,
daß wir den Intellekt nur als einen Teilfaktor neben anderen, im
ganzen vielleicht noch bedeutsameren, aber mindestens ebenso wirk-
samen, anerkennen. Will man aber in der Arbeit einen Versuch sehen,
einerseits gegenüber der in neuerer Zeit oft alleinigen Betonung
der Einfühlung und des motorischen Verhaltens, anderseits gegenüber
der einseitigen Betätigung und Übung der Gefühls- und motorischen
Funktionen im Kunstgenuß die Bedeutung auch des niemals aus-
schaltbaren denkenden Menschen hervorzuheben, so mag man dies
immerhin tun.

Zeitschr. f. Ästhetik u. alle. Kunstwissenschaft. X. 19
 
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