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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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Reicke, Ilse: Das Dichten in psychologischer Betrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0298
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_______DAS DICHTEN IN PSYCHOLOGISCHER BETRACHTUNG. 291

Es erscheint mir nun, ehe wir an die eigentliche Aufgabe gehen,
ebenso nötig wie nützlich, diese Grundlagen für unsere Gedanken-
gänge kurz aufzuzeigen (vgl. Rehmke, »Grundwissenschaft«, »Lehr-
buch der allgemeinen Psychologie«, »Die Seele des Menschen«,
4. Aufl.):

Das »Gegebene« unserer Welt überhaupt, d. h. das Gewußte, das
uns Bewußte (was durchaus nicht gleich »Wirklichem« ist, da schon
das Gegebene sowohl »Wirkliches« als auch »Nichtwirkliches« um-
faßt) zerfällt in einmalig Gegebenes: Einziges, Veränderliches, und
mehrmalig Gegebenes: Allgemeines, Unveränderliches.

Ein besonderes, d. h. von anderem unterschiedenes Einziges nennen
wir »Einzelwesen«, ein diesem zugehöriges Allgemeines die »Be-
stimmtheit des Einzelwesens«.

Für unsere Welt gilt der Satz: »Kein Einzelwesen ohne Bestimmt-
heiten, keine Bestimmtheit ohne Einzelwesen.«

Das Einzelwesen ist einfach (z. B. das Atom) oder zusammen-
gesetzt (z. B. der Stein) und dementsprechend unvergänglich oder
vergänglich; die Bestimmtheit kann einfach (Gestalt schlechtweg) oder
zusammengesetzt (rund) und dementsprechend dem Einzelwesen un-
verlierbar oder verlierbar sein. Jede zusammengesetzte Bestimmtheit,
wie z. B. »rund«, besteht aus der Bestimmtheit »Gestalt schlechtweg«,
d- h. seinem »Allgemeinen«, und seiner Besonderheit.

Nun ist »jegliche Veränderung in unserer Welt Besonderheits-
wechsel in der Bestimmtheit des Einzelwesens« (z. B. der Bestimmt-
neitsbesonderheit des »rund« in die Bestimmtheitsbesonderheit des
»eckig«).

»Einzelwesen ist der Baum, das Blatt; Bestimmtheit dagegen die
Größe, die Gestalt, der Ort, die Wärme, die Bewegung, die Ruhe des
Dinges«]).

Alles Besondere unserer Welt ist endlich entweder im Raum Ge-
gebenes oder nicht im Raum Gegebenes. Zu dem Ersten gehört das
»Ding« und seine Bestimmtheiten: Größe, Gestalt und (die »einheit-
stiftende« Bestimmtheit) »Ort«, — zu dem Zweiten das Einzelwesen
»Seele« oder, was hier dasselbe sagt, das Bewußtsein; dieses zeigt
sich in drei Bestimmtheiten als ein gegenständliches, zuständliches und
denkendes Bewußtsein und in der einheitstiftenden Bestimmtheit, dem
»Subjekt der Seele«, das ein einfaches Allgemeines ist.

Wille ist keine Bestimmtheit des Einzelwesens Seele, sondern be-
zeichnet die sich ursächlich beziehende Seele. Wollen ist ein »sich
ursächlich Beziehen« der Seele auf eine im Lichte der Lust vorgestellte

') Rehmke, Lehrbuch der allgem. Psychologie S. 13.
 
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