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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0371
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364 BESPRECHUNGEN.

Mir war, als müßt ich graben, War, weiß nicht wie, gezwungen,

Und grub gar tief hinab; Hab's nimmer gern getan,

Qrub in die Läng und Breite, Doch sollt ich, was ich wünschte,

Am Ende ward's ein Grab. Zuletzt als Lohn empfah'n.

Das Grab war aufgeworfen,
Matt sank mir Arm und Bein,
Ich hatte nichts mehr zu wünschen
Und legte mich selbst hinein.

Der Kommentar (in einem Brief an Elise, 7. Dezember 1837) lautet so: »Daß
eben durch die Mühe um den Lohn der Lohn in die Lüfte geht, das ist der Lebens-
punkt«. Herke nennt die Basis dieser wundersamen Situation: einer darf wünschen,
was er will, und wählt den Tod. »Die Prägnanz der Objektivierung durch Pro-
jektion in ein Bild, das durch die wundersame Situation zum Symbol wird, ist
außerordentlich.« In diesem »Kristall« ist das Problem, das dem Gedichtzyklus
»Dem Schmerz sein Recht« zugrunde liegt, gelöst. Dort wird die wundersame
Situation besprochen, das Paradoxon logisch begründet, hier ist sie gestaltet, dar-
gestellt. Erst die Darstellung verleiht Symbolcharakter. Worin besteht nun aber,
fragen wir, der Prozeß dieser Darstellung? Wodurch wird ein Gedicht symbolisch,
während das andere reflektierend bleibt? Was ist das Wesen der Darstellung? —
Aus Herkes Untersuchungen läßt sich keine andere Antwort finden als: die Dar-
stellung besteht in der Konzentrierung. »Das Grab« faßt die Lebenspunkte des
zweiten und des vierten Gedichtes jenes Zyklus zusammen, und eben dadurch wird
es, so muß man wohl annehmen, zum »Kristall«. Die Schwierigkeit ist ein Bild zu
finden, das durch seine natürlichen Eigenschaften am geschicktesten ist, die Insze-
nierung der wundersamen Situation aufzubringen (S. 77). Die wundersame Situation
ist also das erste; das zweite ist ihre Inszenierung, vielleicht könnte man auch
sagen: Einkleidung. Auf diesen letzteren Prozeß geht der Verfasser nicht ein.
Offenbar erscheint er ihm nebensächlich.

Gedichte, die dem »Kanon« Hebbels entsprechen, sind Sommerbild, Herr und
Knecht, Der Tod kennt den Weg. Sie alle besitzen einen Lebenspunkt, eine Idee.
Die klare Einsicht in die Notwendigkeit eines solchen Lebenspunktes ist für Hebbels
Theorie und Kritik entscheidend.

Ihrer klaren Problemstellung wegen ist die vorliegende, bei ihren Analysen
stellenweise beträchtlich in die Tiefe gehende Detailuntersuchung dankenswert.
Man blickt in die Werkstatt des Lyrikers. Es handelt sich nicht um eine periphere,
sondern um eine zentrale Frage. Nur läßt der Verfasser das Problem gerade da
fallen, wo es am interessantesten zu werden beginnt. Er nimmt den Hebbelschen
Kanon offenbar als ein schlechthin anzuerkennendes Grundgesetz der Poesie. Gerade
aber die Kritik dieses Kanons scheint uns wichtig. Um die Frage erschöpfend zu
beantworten, bedürfte es einer vollständigen Theorie des Hebbelschen Kunstwerks.
Hier kann nur das Wesentlichste angedeutet werden.

Hebbel findet die Form seiner Lyrik, als er die Notwendigkeit eines Lebens-
punktes für jedes Gedicht erkannt hat. Man mag diese Idee nun so weit und so
begriffslos wie möglich fassen, sie bleibt immer ein stoffliches, inhaltliches Moment.
Die Idee mag ihrerseits »darstellen«, immer bedarf sie selbst doch auch einer Dar-
stellung, also dessen, was Herke mit dem Wort »Inszenierung« anerkennt. Das
stoffliche Element soll keineswegs unterschätzt werden. So, wie es von Hebbel
dargelegt wird, bildet es zweifellos einen wichtigen Bestandteil des Kunstwerks.
Aber als das allgemeinere und für die Ästhetik wichtigere Moment muß doch wohl
 
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