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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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Utitz, Emil: Vom Schaffen des Künstlers
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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0378
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VOM SCHAFFEN DES KÜNSTLERS. 371

ihres Baues und ihres einheitlichen Planes! Kommt aber die weitere
Typengliederung in Frage, so greift die Psychologie ein. Sie findet
nicht das ideale künstlerische Schaffen, aber sie wendet das auf anderem
Wege Gefundene an auf ihre Tatsächlichkeiten; so umkreist sie die
wirklich vorhandenen Ausprägungen, die nur dem erfahrungsmäßig
Gegebenen zu entnehmen sind. Damit haben wir den Akkord ange-
schlagen, den wir nun zerlegen müssen!

I.
Bevor wir aber in die systematische Erörterung unserer Frage ein-
treten, gilt es Stellung zu nehmen gegen eine Lehre, die mir geeignet
scheint, schwere Verwirrung anzurichten, indem sie gleichsam unser
ganzes Problem auf den Kopf stellt. Schon in Wilhelm Diltheys1)
berühmt gewordener Schrift über »die Einbildungskraft des Dichters«
findet sich der Gedanke, daß »schaffende Kunst und nachfühlender
Geschmack« einander entsprechen und die gleichen Gesetze sie durch-
walten. »Der primäre Vorgang ist das Schaffen. Die Poesie entstand
aus dem Drang, Erlebnis auszusprechen, nicht aus dem Bedürfnis, den
poetischen Eindruck zu ermöglichen. Was nun vom Gefühl aus ge-
staltet ist, erregt das Gefühl wieder, und zwar in derselben, nur ge-
minderten Weise. So ist der Vorgang im Dichter dem verwandt in
seinem Hörer oder Leser. Die Verbindung von einzelnen Seelen-
vorgängen, in welchen eine Dichtung geboren wurde, ist nach Bestand-
teilen und Struktur derjenigen ähnlich, welche sie dann bei dem Hören
oder Lesen hervorruft.« Zum Grundproblem der gesamten Kunst-
philosophie wurde aber diese Lehre in Ernst Meumanns »System der
Ästhetik« (Leipzig 1914) und Erich Majors »Die Quellen des künst-
lerischen Schaffens« (Leipzig 1913). Ersterer2) meint: »Das, was tat-
sächlich die Welt der Kunst und des Schönen hervorgebracht hat,
muß auch der Ausgangspunkt und der maßgebende Gesichtspunkt
für unser theoretisches Verständnis dieser Lebensgebiete sein; das ist
aber das Schaffen des Künstlers und das System der elementaren Mo-
tive, aus denen menschliche Kunsttätigkeit hervorgeht.« Und ganz

') Auch Konrad Fiedler (Schriften über Kunst, I. 1913) spricht den Grundsatz
aus: »An einem Menschenwerke ist von vornherein nur das wesentlich, um dessent-
willen es hervorgebracht wurde, während alles an ihm unwesentlich ist, was unab-
hängig von der Absicht des Urhebers und von dessen Macht über das Werk
demselben anhängt.* Da aber Fiedler mit seinen Worten — die nur aus dem
Gesamtzusammenhange seines Gedankensystems zu verstehen sind — etwas ganz
anderes meint, als Dilthey, Meumann oder Major, ist es besser, sie an dieser Stelle
nicht zu berücksichtigen.

2) Ernst Meumann a. a. O. S. 7.
 
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