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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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Mitrovics, Julius: Das Grundproblem der ästhetischen Lust
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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0463
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456 BEMERKUNGEN.

sämtlichen ästhetischen Bewegungen zur Geltung gelangendes, also allgemeingültiges
Prinzip überhaupt nicht existiere. Die Einheit der menschlichen Seele, die Einheit
unseres Bewußtseins ist an und für sich ein solches Prinzip, das sämtlichen Lebens-
erscheinungen unserer Seele den Stempel aufdrückt. Man kann also auch dieses
Prinzip an sich als ein Grundprinzip des menschlichen Seelenlebens anerkennen.
Eine seelische Tatsache ist ferner, und das unterliegt keinem Zweifel, daß sämtliche
Typen unserer psychischen Tätigkeiten in allen psychischen Bewegungen vorkommen.
Die einzelnen Erscheinungen werden nur nach den in ihnen vorherrschenden
Faktoren benannt; was aber keineswegs die ausschließliche Anwesenheit eines
einzigen Elementes bedeutet. Alle unsere seelischen Erscheinungen enthalten mehr
oder weniger auch von den anderen Richtungen unseres Seelenlebens. So hat z. B.
Volkelt ganz recht darin, daß in den ästhetischen Erscheinungen neben den Gefühlen
und den Erkenntniselementen gewissermaßen auch Willensfaktoren zugegen sind.
Lipps, und überhaupt die Anhänger der Theorie der »Einfühlung« sind derselben
Ansicht insofern, als sie der »Aktivität« im Verlauf der ästhetischen Erscheinungen
eine wichtige Rolle zuschreiben. Welches ist nun in den ästhetischen Erscheinungen
der herrschende Faktor, der auch auf die anderen einen bestimmenden Einfluß hat?
Offenbar die Gefühlsseite des Seelenlebens. Man kann daher im allgemeinen den
Ausdruck »ästhetische Gefühle« mit Recht auf die Gesamtheit der Schönheits-
erscheinungen ausdehnen.

Das Problem der Schönheitsgefühle ist nun mit dem Problem der ästhetischen
Lust identisch, insofern die ästhetischen Gefühle immer nur zwischen Lust und
Unlust schwanken. Infolgedessen muß sich der, der die regulierenden Prinzipien
der Schönheitsgefühle sucht, hauptsächlich mit der Frage der ästhetischen Lust und
Unlust beschäftigen.

Man kann einzelne Erscheinungen unseres Seelenlebens aus ihren Verbindungen
nicht herausreißen. Dieser Umstand muß bei wissenschaftlichen Forschungen vor
allem in Betracht genommen werden. Wenn wir also, wie ersichtlich wurde, dem
fortwährenden Zusammenhange der Elemente in sämtlichen Phasen der psycho-
logischen Erscheinungen Rechnung tragen wollen, dürfen wir auch nicht die Gefühle
in getrennte Gruppen zerlegen. Ebenso ist es unmöglich, die ästhetische Lust von
dem Gesichtspunkte der allgemeinen Lust oder Unlust abgesondert zu untersuchen.

Es liegt nicht im Rahmen dieser Zeitschrift, das allgemeine Problem der Lust
und Unlust eingehend zu besprechen. Doch wollen wir den im strengsten Sinne
genommenen ästhetischen Betrachtungen vorausschicken, daß wir in den folgenden
Gegenüberstellungen im Gegensatz zu einer bloß biologischen Auffassung uns auf
eine mit allen Umständen rechnende psychologische Lösung stützen möchten. Nach
dieser psychologischen Auffassung bezeichnet Lust und Unlust die gelungene oder
nicht gelungene Vereinigung aller jener Lebenserscheinungen, die unser Bewußt-
sein ausfüllen und die die Gesamtheit unseres psychischen Lebensprozesses aus-
machen. Demzufolge ist die Lust das Zeichen dessen, daß irgendeine
psychische Erscheinung ungehemmt sich der psychischen Assimi-
lation überlassen hat, anderseits die Unlust das Zeichen dafür,
daß irgendeine psychische Erscheinung gehemmt sich der psychi-
schen Assimilation gar nicht oder nur schwer überlassen hat1).

Von dem Prinzip der Einheit unseres Bewußtseins ausgehend, werden wir
vielleicht nicht mit Unrecht behaupten, daß auch die Erklärung der ästhetischen

') Man vergleiche Nädeide: Die biologische Theorie der Lust und der Unlust.
Leipzig. W. Engelmann. 1908. S. 72.
 
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