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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0483
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476 BESPRECHUNGEN.

der intimen Kunst durchgeführt, bis zum Schluß der dritten Periode die intime
Kunst völlig über die Monumentalkunst siegt. Innerhalb dieser kürzeren Perioden
von etwa 30—50 Jahren soll nun nach Hamann wiederum stets der gleiche
Rhythmus wiederkehren: »Zunächst ein Suchen und sich Zurückfinden zur Natur
nicht selten mit bewußter Opposition gegen eine formal komponierende und
abstrakte Kunst; sodann eine Blütezeit malerischer Formung dessen, was das Auge
um sich sieht, Landschaft, Stilleben, Tier- und Menschengenre, eine Formung, der
gegenüber das Schlagwort Naturalismus völlig versagt, selbst wenn das Häßliche
im Bilde Eingang findet und die Objektivität der Gegenstände respektiert wird;
schließlich ein Reif- und Welkwerden in impressionistischer Auffassung, die im
Bilde nur noch subjektive Impressionen bestehen läßt, und in der die Objektivität
der Welt sich verflüchtigt und auflöst. — Jedesmal nach einem solchen Extrem
malerischer Auffassung erhebt sich das Verlangen nach der Gebundenheit der
monumentalen Kunst« (S. 3).

Referieren wir vorerst weiter über diese Einteilung der deutschen Malerei des
19. Jahrhunderts, so finden wir von Hamann folgende Daten angegeben (S. 4 ff.).
Die erste Periode soll annähernd die Jahre 1775—1820, die »Malerei der Aufklärung
und Romantik« umfassen. »Mit romantischer Stimmungsmalerei endigt diese
Periode, einem Gefühlsimpressionismus, in dem das Auge weniger als das Gemüt
zu sagen hat« (S. 4). Daran schließt sich in den zwanziger Jahren als »Reaktion
zur Monumentalkunst« die Kunst der Nazarener. — Die zweite Periode »malerischen
Wachstums« umfaßt die Zeit von 1S30—1S60, die »Biedermeiermalerei und den
Stimmungsimpressionismus der fünfziger Jahre«. Die »Reaktion der Form«, die diese
Epoche ablöst, ist für Hamann die Malerei der Gründerzeit, deren Höhepunkt in
den siebziger Jahren liegt. — Die Opposition gegen diesen Formalismus führt dann
in die dritte und letzte Periode, in die eigentliche moderne Malerei hinüber, in den
Naturalismus der achtziger Jahre. »Ein Impressionismus geht daraus hervor, der
optischer als die vorangegangenen impressionistischen Phasen alle Gegenstände in
das subjektive Milieu des Überschauens, in die Totalität des Gesichtsfeldes ein-
tauchen läßt« (S. 7). Und schließlich wird die modernste Phase der deutschen
Malerei seit der Jahrhundertwende als dritte »Reaktion zur Form« aufgefaßt, die
gleichwohl den »unaufhaltsamen Verfall des Monumentalen« nicht verhindern wird,
sondern ihn in ihrer Vorliebe für das »Gespenst des Archaismus und Primitivismus«
und in ihrer Verwendung der inhaltslosen Form als Selbstzweck, als »Fremdes,
Seltsames und deshalb Reizendes« nur von neuem bezeugt1). —

Diese Einteilung bedeutet nicht weniger als eine völlige Umstürzung der bisher
üblichen Disposition des neunzehnten Jahrhunderts. Bisher orientierte man das
deutsche neunzehnte Jahrhundert an Frankreich. Man unterschied nicht drei mal
drei, also neun, sondern nur vier Perioden, die man zu je zwei Gruppen in die
beiden Jahrhunderthälften verteilte. Bis 1850 rechnete man (mit ungefährem Teilungs-
jahr 1825) den Klassizismus und die Romantik; sie wurden als naturferne »Monu-
mentalkunst« klassifiziert. Dann setzte die naturnahe Malerei ein, der »objektive
Naturalismus« bis etwa 1875, auf den der »subjektive Naturalismus«, meist Im-
pressionismus genannt, bis um die Wende des Jahrhunderts folgte. So ergab sich
in der Linie Klassizismus, Romantik, Naturalismus, Impressionismus eine klare
Scheidung von vier Generationen zwischen etwa 1780 und 1900, die in an-
scheinend stetiger Entwicklung ineinander überführten. Selbstverständlich ist, daß

') Dieses herbe Urteil über die »Neue Malerei« wird am Schlüsse des Buches
in versöhnendem Sinne gemildert.
 
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