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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0486
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BESPRECHUNGEN. 479

Ist nun diese Art der >Gemeinsamkeit<: tatsächlich imstande, die außerordent-
lichen Unterschiede der seelischen Einstellung in den drei »impressionistischen«
Perioden zu verdrängen? Behält es, bei einer umfassenden methodischen Gruppie-
rung einen Sinn, die so wesentlich verschiedenen Arten der ganzen Orientierung
auf ein gemeinsames Detail als Basis zu pressen? Wir zweifeln nicht daran, daß
bei Hamann »mit der Kenntnis des Materiales das Vertrauen in diese Gesetzlichkeit
der Entwicklung nicht abnahm, sondern zusehends wuchs« (Vorwort). Wir glauben
nur, daß sie eben für mikroskopische Detailuntersuchungen eine wertvolle psycho-
logische Konstatierung darstellt. Daß sie aber viel zu schwach und nebensächlich
ist, um K. D. Friedrich, Menzel und Liebermann unter einer gemeinsamen An-
schauung fassen zu können.

So scheint uns also der Grund, weshalb die Neugruppierung der Malerei des
neunzehnten Jahrhunderts, die Hamann vorschlägt, nicht zwingend wird, darin zu
liegen, daß man imstande sein muß, gar manches nicht zu sehen, wenn man
Jahrhundertentwicklungen fassen will. Damit bleibt aber der Kleinbau der dreifach
wieder in sich geteilten dreifachen Periodizität, den Haman beobachtet, ein wert-
volles Ergebnis einer außerordentlichen Beobachtungsgabe und eines ungewöhnlich
begabten Intellektes. Doch wir glauben, daß anstelle der neu vorgeschlagenen
Neunteilung die alte Vierteilung des Jahrhunderts in Klassizismus (David; Carstens,
der frühe Cornelius und die Nazarener), Romantik (Delacroix; der spätere Cornelius
und Rethel), Naturalismus (Courbet; Leibl und Menzel), Impressionismus (Manet
uns seine Gefolgschaft; Liebermann und sein Kreis) bestehen bleiben wird. —

Neben dieser, in der »Zeitschrift für Ästhetik« bloß zu berücksichtigenden all-
gemeinen ästhetischen Grundfrage ist das Buch Hamanns aber ein eminentes
historisches Werk. Darüber zu referieren ist zwar hier nicht der Ort. Dennoch
sei auch hier gesagt, daß das Werk dem Referenten — entgegen der ausdrücklichen
Warnung des »Vorwortes«, es als »Nachschlagebuch« zu benützen — gerade als
solches in seiner Fülle kulturhistorischer Gesichtspunkte und Erörterungen, in den
so intensiven wie reichen Analysen einzelner Bilder, in den interessanten Ver-
gleichen, im innerlichen Verständnis der Maler bereits die größten Dienste geleistet
hat. Hamann weiß außerordentlich viel. Er hat eine Arbeitszähigkeit und einen
Fleiß, die wirklich selten sind, und dabei für die verschiedensten seelischen Ein-
stellungen ein »inneres Organ«. Gerade jene Fülle der Gesichte und Einfälle, die
die Arbeit im Gesamtbau so komplex erscheinen läßt, gibt ihr die dichteste,
vollste, saftigste Struktur des Inneren. »Das Buch hat Stil bis auf die Fasern im
Holz«, so könnte man mit leiser Variierung einen Satz zitieren, den Hamann auf
Leibls »Bäuerinnen in der Kirche« sagt. Mit echt germanischer Intensität wird jede
Einzelheit hergenommen und von Innen her begriffen. Man kann, ebenso wie bei
Leibischen Bildern, das Ganze in Stücke schneiden, und behält Ganzes in der Hand.
Denn ebenso wie bei Leibl hat nur die Intensität im Einzelnen, das bohrendste
Sehen auf jeden Quadratzentimeter und das Fehlen jener leichter fertigen Überschau-
üchkeit, die von dem Bilde zurücktritt und es von weitem ins Auge nimmt, bevor
es fertig und bis ins Fäserchen erfüllt ist, gerade diese Intensität im Einzelnen hat
zu der Unübersichtlichkeit des Ganzen geführt. Nochmals also: historisch erstaun-
lich reich, wo man es auch aufschlägt belehrend und lebendig. Mit einer Fülle
von Assoziationen aus der Literatur und aus der Philosophie der Zeit. Man lernt
auf jeder Seite zu. Und daß man an nicht wenigen Stellen auch mehr, auch reine
Freude an der nachfühlend-dichterischen Analyse hat, dafür noch ein Beispiel. Am
Schlüsse der Besprechung von G. F. Kersting hebt Hamann die kleinere, »bürger-
liche« Romantik gegen die weitausströmende frühere Romantik, gegen K. D. Friedrich
 
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